„Mund abputzen, weitermachen“: Lars Klingbeil blickt nach der Abreibung des Parteitags trotzig nach vorne. © Nietfeld/dpa
München/Berlin – Am Ende sind es die Zahlen, die den nachhaltigsten Eindruck hinterlassen. Die miserablen 64,9 Prozent für Lars Klingbeil bei der Wahl zum SPD-Parteichef – in absoluten Zahlen: 166 Nein-Stimmen. Im Kontrast dazu die 95 Prozent für seine Co-Chefin Bärbel Bas. Die Sozialdemokraten, in Umfragen zuletzt bei desolaten 15 Prozent gelandet, sind in Berlin drei Tage lang kräftig durchgeschüttelt worden. Ein Überblick:
Ernüchterung: Nur Stunden nach dem Wahldebakel klingt Klingbeil schon wieder trotzig-frohgemut: „Mund abputzen, weitermachen.“ Dass sein Ergebnis nicht glänzend ausfallen würde, war ihm schon vorher klar gewesen, aber die Wucht der Abreibung hat ihn auf der Bühne doch sichtlich getroffen. Zumal die Debatte zuvor noch maßvoll verlaufen war. „In der Anonymität einer geheimen Abstimmung das Mütchen zu kühlen, zeugt für mich nicht von Verantwortungsbewusstsein“, tadelt Schatzmeister Dietmar Nietan die Delegierten und zitiert Johannes Rau: „Sagen, was man tut, und tun, was man sagt.“ Auch Nietans Ergebnis (76,7) fällt dann mäßig aus.
Abschiede: Zwei, die monatelang Kritik kassiert haben – ohne dass Klingbeil gegengesteuert hätte –, werden am Samstag umso freundlicher verabschiedet. Die bisherige Co-Chefin Saskia Esken überrascht bei „Phoenix“ mit der Einschätzung, es sei ihr gelungen, in der „SPD eine Kultur zu stärken, die stärker auf das Miteinander, auf die Solidarität, auf den Zusammenhalt ausgelegt ist“. Sie profitierte davon wenig. Ihre Nachfolgerin Bas meint auch den Umgang mit Esken, als sie beklagt, Frauen seien in der Politik „diesem sexistischen Müll ausgesetzt“.
Bemerkenswert auch die Abschiedsrede von Olaf Scholz. Dass er auf Selbstkritik völlig verzichtet, überrascht zwar nicht, irritiert aber dennoch, zumal er seine Kanzlerschaft „eine große Zeit“ nennt. Er habe vor, „ein ehemaliger Kanzler zu sein, über den sich die SPD immer freut“ – anders als bei Vorgänger Gerhard Schröder.
Konfrontation: Nur mit Mühe verhindert die Parteitagsregie, dass mit Verteidigungsminister Boris Pistorius ausgerechnet der beliebteste Sozialdemokrat auf offener Bühne frontal angegangen wird. Eine Initiative der Jusos gegen eine Rückkehr zur Wehrpflicht wird entschärft. Die Freiwilligkeit, die den Jusos wichtig ist, prägt auch den überarbeiteten Beschluss, die Rede ist von „einer Steigerung der Attraktivität des Wehrdienstes“, die für den nötigen Zuwachs sorgen solle. Die gesetzliche Wehrpflicht, die Pistorius ins Spiel gebracht hatte, ist trotzdem nicht vom Tisch. Sie klingt nur anders. „Wir wollen keine aktivierbare gesetzliche Möglichkeit zur Heranziehung Wehrpflichtiger, bevor nicht alle Maßnahmen zur freiwilligen Steigerung ausgeschöpft sind“, heißt es jetzt im Beschluss.
Aufbruch: Co-Parteichefin Bärbel Bas ist seit dem Wochenende eine der markantesten Stimmen der Partei. Die Duisburgerin, bodenständig mit Hang zum Klartext, formuliert den Anspruch, als gleichberechtigte Partnerin des dominanten Klingbeil wahrgenommen zu werden: „Für Alibi-Parität bin ich nicht zu haben.“ Die SPD blickt nach vorne. In zwei Jahren soll ein neues Grundsatzprogramm stehen. Schon 2026 werden fünf Landtage gewählt, auch in Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern, wo die Sozialdemokraten mit Alexander Schweitzer und Manuela Schwesig starke Ministerpräsidenten stellen. Der langjährige Arbeitsminister Hubertus Heil, auch er ein Opfer von Klingbeils Personalpolitik, warnt davor, in alte Muster zurückzufallen. „Keine Kabale“, fordert er, „das hatten wir, das hat uns kaputt gemacht“.MIT DPA