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Mit Pragmatismus gegen coole Tattoos

von Redaktion

Grüne kämpfen um neues Image

„Opposition ist Mist“, hat Franz Müntefering einst in seiner unnachahmlich knapp-klaren Art gesagt. Doch wenn es einen Vorteil der Opposition gibt, dann den, dass Niederlagen aufgearbeitet werden können. Während Münteferings SPD in der schwarz-roten Regierung ihr 16,4-Prozent-Desaster zu überspielen versucht, haben die Grünen nun ernsthaft damit begonnen, ihre Lehren aus dem Scheitern der Ampel zu ziehen.

Getrieben werden die Grünen dabei vom Erfolg der Linken. Die nach Sahra Wagenknechts Abspaltung schon totgesagte Partei konnte bei der Bundestagswahl überraschend viele von der Ampel-Streiterei frustrierte SPD- und Grünen-Wähler gewinnen. Während den Grünen nach dem Abgang von Annalena Baerbock und Robert Habeck populäre Führungsfiguren fehlen, hat die Linke mit Heidi Reichinnek eine Politikerin, die mit ihrer authentischen Art vor allem viele Jungwähler begeistert.

Zudem besetzen die Linken mit ihrem Kampf gegen hohe Mieten und teure Preise die Themen, die Wähler unmittelbarer betreffen als die für viele immer noch zu abstrakten Sorgen um Klimawandel und Artensterben. Theoretisch hat die neue Grünen-Führung das erkannt, will weg vom schädlichen Image der Eliten-Partei: „Der Alltag der Menschen ist genauso wichtig wie die Weltlage“, heißt es deshalb im Strategiepapier der Fraktionschefinnen Britta Haßelmann und Katharina Dröge.

Doch diese Einsicht praktisch umzusetzen, wird schwierig. Denn wo die Linken radikale antikapitalistische Forderungen stellen können, wollen sich die Grünen weiterhin als staatstragende Kraft der Mitte präsentieren – offen auch für Bündnisse mit der Union.

Aber gerade auf Jungwähler wirkt derartiger Pragmatismus unattraktiv. Selbst äußerlich wirken die Grünen mittlerweile etabliert und altbacken – Reichinneks Tattoos hingegen sind heute so cool und Politiker-untypisch, wie es Joschka Fischers Turnschuhe in den 80er-Jahren waren.

Das Abschneiden des Ober-Realos Cem Özdemir bei der Landtagswahl im März 2026 in Baden-Württemberg wird entscheidend dafür sein, ob die Grünen weiter auf ihrem Mitte-Kurs bleiben. Oder ob sie doch radikaler auftreten und um die Linken-Wähler buhlen sollen. KLAUS.RIMPEL@OVB.NET

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