„CSU muss historisch denken“

von Redaktion

Manfred Weber am Abend der Europawahl 2024 neben Parteichef Markus Söder. © Hoermann/SVEN SIMON

Auswärtsspiel für die Staatsregierung: Bayerns (fast) ganzes Kabinett fliegt heute nach Brüssel und arbeitet einen Tag lang von dort. Geplant sind Treffen mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und mehreren Kommissaren. Was bringt das? Wir sprechen mit Manfred Weber, dem Fraktions- und Parteichef der bürgerlich-konservativen EVP. Er rät zu einem viel engeren Austausch mit der EU und sieht für Bayern Milliardenchancen. Der Niederbayer Weber (52) ist auch Vize-Chef der CSU.

Das ganze Söder-Kabinett in Brüssel: Kleine Klassenfahrt oder dringend überfällige Dienstreise?

Die Zukunft Bayerns wird in Europa entschieden. Die enge Vernetzung ist fundamental wichtig. Ich freu mich über den Besuch, das ist ein Bekenntnis zum Miteinander.

War ja nicht immer so. Aiwanger haben Sie im Wahlkampf hergewatscht, weil er nie in Brüssel sei. Hat sich das gebessert?

Er kommt ja heute auch nicht nach Brüssel wegen einer anderen Auslandsreise. Ich nehme das schon mit Stirnrunzeln wahr: Bis zum 9. Juli, in genau dieser Woche, laufen die Handelsgespräche der EU mit den USA. Das Schicksal der bayerischen Exporteure, besonders der Autoindustrie, wird jetzt in Brüssel entschieden. Wer heute Bayerns Wirtschaft stärken will, muss mit der EU arbeiten.

Immerhin: Er ist in den USA, North Carolina, bei BMW.

Er und die Freien Wähler waren da leider nie konsistent und glaubwürdig. 2016 hat Hubert Aiwanger noch 20 000 Unterschriften gegen das Freihandelsabkommen CETA gesammelt und gegen TTIP gewettert. Meine und unsere Linie war immer eine andere. Wer die Axt an einen fairen Handel legt, sägt an der wirtschaftlichen Zukunft Bayerns.

Jenseits der Zölle: Wofür soll Bayern in Brüssel werben, streiten, kämpfen?

Es gibt riesige Chancen. Die Kernbotschaft heute beim Besuch muss sein: Nach der Regierungsbildung in Berlin sind wir als CSU in Verantwortung auf allen Ebenen und deshalb muss die Aktionsgemeinschaft München, Berlin, Brüssel wieder durchstarten. Unser Ziel: Politik aus einem Guss. Beispiel Forschung: Da ist Bayern stark, was Minister Markus Blume macht, ist wegweisend. Aber Bayern allein kann da global nicht mithalten. Von den KI-Gigafabriken, die in Europa entstehen, muss unbedingt eine in die Region München, vielleicht zum Megathema Mobilität. Genauso in der Gesundheit: Ich streite seit Jahren dafür, dass der Kampf gegen Krebs eines der größten Themen Europas werden muss. Ich will, dass wir EU-weit Exzellenz-Kliniken für die Krebs-Forschung und -Therapie definieren. Natürlich muss München ein Standort werden, wir haben 70 000 Krebsfälle in Bayern pro Jahr!

Sie werben bei der Rüstungspolitik immer für europäische Wege. Hätte Bayerns Industrie jetzt, wo hunderte Milliarden fließen, nicht mehr von nationalen Aufträgen?

Nein. Wir haben in den letzten Jahren leider 80 Prozent aller deutschen Verteidigungsausgaben, die wegen der Bedrohung durch Russland draufgelegt wurden, in nichteuropäische Firmen gesteckt – wie beim US-Kampfjet F35. Das muss anders werden: europäische Steuergelder für europäische Firmen und europäische Jobs. Davon kann der Rüstungsstandort Bayern massiv profitieren. Wir brauchen dazu die Kraft für europäische Ideen. Ich begrüße die Initiativen von Markus Söder und Alexander Dobrindt zu einem deutschen Raketenschutzschirm, aber wir müssen europäischer denken.

Das heißt konkret?

Dass wir historisch denken, nicht bloß technisch. Wir müssen eine europäische Verteidigungsunion schaffen, die unumkehrbar ist, so wie der Euro. Wir brauchen einen europäischen Raketenschutzschirm, bei dem übrigens auch das neutrale Österreich mitmachen will. Wir wollen doch Angriffe nicht erst bei Passau abfangen, sondern gemeinsam im Luftraum an den EU-Außengrenzen. Auch bei Cyber-Abwehr, Drohnen und Satellitenüberwachung müssen wir europäisch handeln. Das spart Geld und stärkt die Sicherheit. Diese europäischen Initiativen sind Franz Josef Strauß pur – erinnern Sie sich an Airbus: Diese Größe brauchen wir wieder. Und zwar jetzt – denn in den nächsten Monaten werden die Leitlinien der EU-Finanzplanung des kommenden Jahrzehnts verhandelt.

Spüren Sie aus München genügend Wertschätzung für die Ebene Europa? Gerade gegen die Kommission und von der Leyen gab und gibt es Vorbehalte.

Der Besuch zeigt: Bayern nimmt Europa ernst. Und in Brüssel haben wir seit einem Jahr, seit dem Wahlsieg meiner EVP, die Politikwende erreicht. Das Verbrenner-Aus fällt, die Strafzahlungen für die Autoindustrie sind ausgesetzt, der Klimaschutz bleibt ambitioniert, aber jetzt pragmatisch, ein enormer Bürokratie-Abbau für die Landwirtschaft findet statt, die Flächenstilllegung wird ausgesetzt, der Wolf ist nicht mehr strengst geschützt. In der Migration hat Europa mit dem Tunesien-Abkommen die Ankunftszahlen übers Mittelmeer um 90 Prozent reduziert. Dass wir in Bayern nun mehr Rückreisen von Flüchtlingen als Neuankünfte haben – ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Es gibt noch viel zu tun, aber die EVP liefert.

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