Fast wie bei der Ampel

von Redaktion

Erhöhter Gesprächsbedarf: Bundeskanzler Friedrich Merz und der aktuell angeschlagene Lars Klingbeil. © Nietfeld/dpa

München – Was auch immer heute ab dem späten Nachmittag im Kanzleramt passieren wird, eine Hoffnung ist da: Es soll nicht bis tief in die Nacht dauern. Koalitionsausschüsse zu später Stunde hat Friedrich Merz stets ausgeschlossen, bei der ersten Auflage hielt er Wort: Um 19 Uhr war Schluss.

Heute kommen die Spitzen von CDU, CSU und SPD zum zweiten Mal zusammen, und diesmal wird die gute Absicht schon stärker auf die Probe gestellt. Die Liste der heiklen Themen ist lang und reicht vom Bürgergeld über Mütterrente und Klimaschutz bis hin zu einem AfD-Verbotsverfahren. Vor allem aber wird es um die Stromsteuer gehen.

Die Stimmung in der Koalition ist gereizt, seit Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) ankündigte, die Steuer vorerst nur für Industrie und Landwirtschaft zu senken. Im Koalitionsvertrag war das noch „für alle“ angestrebt, wenn auch unter dem Vorbehalt der finanziellen Machbarkeit. Dass Unionsvertreter nun seit Tagen an dem Entschluss rütteln, kommt in der SPD gar nicht gut an. Von „verantwortungslosem“ Verhalten ist schon die Rede.

Das klingt vertraut. Mit ihrem ersten größeren Konflikt nähert sich die Koalition stilistisch ihrer Vorgängerin an, der Ampel. Deren Streitkultur war am Ende berüchtigt und ein wesentlicher Grund für den Wahlsieg von CDU und CSU. Nicht mal zwei Monate nach der Vereidigung der neuen Regierung werden in der SPD, an dem gescheiterten Bündnis selbst beteiligt, nun ungute Parallelen gezogen.

„Ich bin schon irritiert, dass Teile der Union offenbar die Rolle der FDP in der Ampel übernehmen wollen und Koalitionskompromisse sofort wieder infrage stellen“, sagte der haushaltspolitische Sprecher der SPD, Thorsten Rudolph, dem Nachrichtenportal „Politico“. Besonders sauer stößt den Sozialdemokraten auf, dass im Kabinett in der Frage der Stromsteuer noch Einigkeit herrschte, nach dem (erwartbaren) öffentlichen Gegenwind prominente Unionsvertreter aber umso schneller auf Abstand gingen. Man habe doch gemeinsam vereinbart, „wir wollen erst die Wirtschaft entlasten, wir wollen Arbeitsplätze sichern“, erinnerte Bärbel Bas, Arbeitsministerin und frisch gekürte SPD-Co-Parteichefin, im „Deutschlandfunk“.

Schon machen die drei Koalitionspartner Kürzungsvorschläge, die die Stromsteuer für alle sicherstellen sollen, aber zulasten von Projekten der jeweils anderen Seite gehen. Auch das kommt einem bekannt vor. CSU-Chef Markus Söder verweist auf die gewaltigen Ausgaben beim Bürgergeld, SPD-Mann Rudolph kontert, die Union könne ja „zuallererst auf ihre extrem teuren Wahlgeschenke bei Gastronomie, Agrardiesel und Mütterrente verzichten“. Just bei der Mütterrente hatte Söder kurz zuvor noch erheblich mehr Tempo angemahnt. Am Dienstagabend verstärkt seine CSU das, spricht von einer „schreienden Ungerechtigkeit“, die nicht erst 2028 beseitigt werden dürfe.

Es sind genau diese Spitzen, die Schwarz-Rot unbedingt hatte vermeiden wollen. Auch die schroffe Rhetorik kann es mit der der Vorgängerregierung aufnehmen. „Die Union tut gerade das, wofür sie die Ampel immer kritisiert hat. Sie kündigt gemeinsame Einigungen der Regierung von der Seitenlinie auf und sät Zwietracht“, empört sich der neue SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf. Es wäre gut, wenn der Bundeskanzler „die Störfeuer aus den eigenen Reihen beendet“.

Gestartet war die neue Regierung mit dem Ziel, Probleme im Koalitionsausschuss abzuräumen, bevor sie eine kritische Größe erreichen. Der sind sie nun bedenklich nahe. Dabei ist das heutige Treffen in gewisser Weise Neuland, weil mit Bärbel Bas auf SPD-Seite eine neue Wortführerin dabei sein wird. Ihre Vorgängerin als Parteichefin, Saskia Esken, war bei der Premiere Ende Mai schon ein Auslaufmodell. Die Dynamik wird damit eine andere sein, zumal Bas‘ Pendant Lars Klingbeil durch sein desolates Wahlergebnis vom Wochenende angeschlagen ist.

Ob heute dennoch ein Durchbruch gelingt? Friedrich Merz äußert sich bei der Stromsteuer vorsichtig: „Alles, was unsere Haushaltsmittel möglich machen, ist denkbar, aber wir müssen eben auch den Haushalt ausgleichen.“ Er weiß, er muss jetzt moderat auftreten, damit es bei nur einem Hauch von Ampel bleibt.

Artikel 1 von 11