Die EU sieht er als Gegner: Orbán vor einigen Tagen im Gebäude des Europäischen Rates in Brüssel. © Omar Havana/dpa
Budapest – „Das Umfeld, in dem wir arbeiten, wird zunehmend zur Herausforderung, die Grundrechte zählen hier immer weniger“, sagt Dániel Döbrentey. Er arbeitet für die Ungarische Bürgerrechtsunion (TASZ), eine Organisation, die in ihrem Kampf für politische Teilhabe und Menschenrechte jedes Jahr tausende Ungarn im Rechtsstreit gegen den Staat verteidigt, darunter Journalisten und Aktivisten. Jetzt kämpft sie gegen die nächste politische Willkür: ein von Ministerpräsident Viktor Orbán eingebrachter Gesetzesentwurf, der das Aus für die letzten freien Medien und Organisationen bedeuten könnte.
„Heuchlerisch“ sei laut Döbrentey schon der Name des Gesetzesentwurfs: „Über die Transparenz des öffentlichen Lebens“. Ziel sei es, Regierungskritiker mundtot zu machen. Das soll durch eine schwarze Liste erfolgen. Auf dieser würden jene Organisationen landen, die in den Augen des ungarischen „Amts für Souveränitätsschutz“ Ungarns Autonomie untergraben. Das Amt, laut Kritikern eine Propaganda-Behörde der Orbán-Regierung, handle „willkürlich“, klagt Döbrentey. Wer etwa EU-Förderungen oder Spenden aus dem Ausland erhält, müsste den 25-fachen Betrag als Strafe zahlen. Bei erneutem Verstoß droht die Schließung.
Für Péter Techet, Ungarn-Experte am Wiener Institut für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM), kommt der Zeitpunkt des Gesetzesvorschlags nicht überraschend. In neun Monaten wird in Ungarn ein neues Parlament gewählt. Die oppositionelle Tisza-Partei hat gute Chancen, den regierenden Fidesz als stärkste Partei abzulösen. „Mit dem Gesetzesentwurf wird deutlich, dass Orbán bereit ist, alles zu tun, um seine Macht zu sichern.“ Das Regime entwickle sich zunehmend „hin zu offenem Autoritarismus“, warnt Techet.
Csaba Lukács wappnet sich für das Schlimmste. Er ist Geschäftsführer der regierungskritischen Wochenzeitung „Magyar Hang“ (Stimme Ungarns), eines der letzten unabhängigen Medien des Landes. „Falls das Gesetz abgesegnet wird, kommen wir ganz sicher auf diese Liste“, ist er überzeugt.
Derzeit sei die Redaktion dabei, „möglichst viele unserer Tätigkeiten ins Ausland zu verlagern“, erzählt Lukács. Gedruckt werde die Zeitung bereits in der benachbarten Slowakei, nachdem sich in Ungarn kein Unternehmen gefunden hatte, das es sich mit der Orbán-Regierung verscherzen wollte. Der Regierung ist „Maygar Hang“ schon länger ein Dorn im Auge, erzählt Lukács: „Wir sind die einzige konservative Zeitung in Ungarn, die nicht Teil der Staatspropaganda ist. Dafür hassen sie uns.“
Eine Bedrohung für die ungarische Lebensweise und Souveränität – die wittert Orbán nicht nur in sexuellen Minderheiten, NGOs und der Opposition. Auch von Brüssel gehe ihm zufolge eine Gefahr für die ungarische Nation aus. „Im Durchschnitt sind die Ungarn immer noch positiv der EU gegenüber eingestellt. Vor allem junge Menschen und der überwiegende Teil der Budapester ist pro-EU“, erzählt Autorin Petra Thorbrietz. Mit ihrem jüngsten Buch „Wir werden Europa erobern!“ wirft sie einen tiefen Blick in die ungarische Seele. So weiß die Ungarn-Expertin auch: „Viele Fidesz-Kernwähler sind EU-kritisch eingestellt. Das sind überwiegend ältere Menschen, die nicht in größeren Städten leben. Sie informieren sich kaum aus neutralen Quellen.“ MARKUS SCHÖNHERR