Den Toten ihre Würde und ihre Namen zurückgeben

von Redaktion

Interview mit Thomas Schwartz: Hilfswerk Renovabis bemüht sich um Versöhnung zwischen Serben und Bosniaken

Ein Massengrab, das 2010 entdeckt wurde. © AFP

Freising/Srebrenica – Wenn morgen in Srebrenica des Völkermords vor 30 Jahren gedacht wird, ist auch der Geschäftsführer des katholischen Osteuropa-Hilfswerks, Thomas Schwartz, vor Ort. Das in Freising ansässige Hilfswerk setzt sich für Versöhnung ein. Wir fragten Schwartz, warum es so schwierig ist, auf dem Balkan den Hass zu überwinden.

Auch 30 Jahre nach dem Genozid kann von Versöhnung kaum die Rede sein. Was schürt den Hass?

Der Hass ist geschürt worden von einem „Virus des Nationalismus“. Auch Menschen, die über Jahrzehnte zusammengelebt, miteinander gefeiert und gearbeitet haben, sind von diesem Virus befallen worden. Sie haben im Nachbarn nicht mehr den Mitmenschen, sondern den Feind gesehen. Sie sind geradezu entmenschlicht worden. Das ist die Folge eines extremen Nationalismus, in dem die Menschen nur noch als Instrument politischer Ziele gesehen wurden. Wir sehen gerade, dass der Hass wieder stärker geworden ist, namentlich in der Republika Srpska, die ja seit mindestens zehn Jahren eine Politik fährt, die ein Miteinander verhindern will. Es wird versucht, die jungen Leute in einer propagandistischen Weise einzunorden, sodass sie in einem gemeinsamen Staat keine Zukunft sehen. Das ist das Gefährliche.

Wie kann Renovabis hier helfen?

Wir versuchen seit 30 Jahren mit unseren Partnern, Dialogplattformen aufzubauen, wo Menschen sich wieder begegnen können. 14 „Schulen für Europa“ sind überall in Bosnien gegründet worden, in denen Schüler und Lehrer unabhängig von ihrer nationalen Herkunft an ihre gemeinsame Zukunft herangeführt werden.

An diesen Schulen sind gleich viel bosniakisch-muslimische und kroatisch-katholische Kinder…

Sie werden verpflichtend in Religionsgeschichte unterrichtet, überkonfessionell. Die Kinder sollen interreligiös lernen und Erfahrungen des Miteinanders machen: Im Sport, im Spiel, im Lachen, bei Ausflügen. Das zeigt Erfolge überall dort, wo die Schulen eröffnet werden konnten. Ich war an einer Schule, wo Kinder miteinander Fußball gespielt haben. Nicht nach Ethnien getrennt, sondern einfach in Mannschaften, die per Los zusammengesetzt worden sind. Das klappte wunderbar. Was im Spiel funktioniert, das sollte doch auch im Leben gelingen.

Was trennt die Menschen mehr: Die Religion oder die ethnische Herkunft?

Ich glaube, die Religion wird instrumentalisiert, ethnische Probleme werden vorgeschoben. Es geht um Macht: Cliquen wollen politischen Einfluss nehmen, um ihre Interessen durchzusetzen. Überall dort, wo es uns gelingt, die Menschen mit verschiedenen Glaubensrichtungen zusammenzubringen, gibt es Möglichkeiten für Versöhnung.

Was muss die internationale Politik tun, um eine Verständigung zwischen Serbien und Bosnien-Herzegowina anzustoßen?

Die Politik muss es schaffen, das Miteinander in den beiden Landesteilen von Bosnien und Herzegowina wirklich durchzusetzen. Es kann nicht sein, dass in der Republika Srpska seit zehn Jahren ein Ultra-Nationalist immer wieder Öl ins Feuer gießt und Versöhnung unmöglich macht. Die Leugnung des Genozids dort muss geächtet werden. Meiner Ansicht nach sollten Menschen, die den Genozid in Srebrenica leugnen, belangt werden. So wie das bei uns mit dem Holocaust der Fall ist.

Wenn Sie jetzt zu dem Gedenken fahren, was bedeutet Ihnen das?

Ich fahre mit großer Demut an diesen Ort. Srebrenica ist für mich ein Zeichen dafür, dass die internationale Gemeinschaft versagt hat. Auch die UN. Es waren ja Friedenstruppen vor Ort, die das Töten nicht verhindern konnten. Das zeigt, dass auch wir Teil dieser Schuldgeschichte sind. Wir müssen den unzähligen Opfern ihre Namen und damit ihre Würde zurückgeben. Und wenn sie nur posthum darin besteht, dass sie ein eigenes Grab mit ihrem Namen haben, wo ihre Angehörigen trauern können. Diese Trauerkultur ist der Beginn dafür, dass man Zukunft mit Hoffnung und Zuversicht angehen kann. Ich glaube, das ist das Wichtigste, was wir machen können. Ich möchte mit Überlebenden und Angehörigen ins Gespräch kommen. Ich will hören, was ihnen wichtig ist, damit wir ihnen eine Stimme in unserer Heimat verleihen können.

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