Schleuser nehmen Kurs auf Kreta

von Redaktion

Libyen und die Türkei haben einen Korridor im Mittelmeer zur Förderung von Öl- und Gasvorkommen definiert. Das Abkommen ignoriert die Ansprüche Griechenlands. © Grafik: MM

München – Der Besuch endete, noch bevor er so richtig begonnen hatte. Gleich bei der Ankunft in Benghazi musste EU-Migrationskommissar Magnus Brunner am Dienstag kehrtmachen, weil die ostlibyschen Behörden dem Österreicher ebenso die Einreise verweigerten wie den Innenministern Griechenlands, Maltas und Italiens. Als Grund nannten sie die „Missachtung nationaler Souveränität“: Es gab Streit um Formalien und eine angeblich fehlende Einreiseerlaubnis für ausländische Delegationen.

Dabei waren Brunner und seine Entourage längst in Libyen unterwegs. Ihre erste Station war Tripolis im Nordwesten gewesen, wo sie Vertreter der Einheitsregierung trafen. Das zwischen Westen und Osten tief gespaltene Land hat für die EU eine Schlüsselrolle bei der Eindämmung der Migration. Brüssel beziffert den Anteil Libyens an allen illegalen Einreisen aktuell auf 93 Prozent.

Besonders auf Kreta steigen die Zahlen rasant. In diesem Jahr kamen auf der griechischen Ferieninsel bisher 7136 Migranten an – mehr als ein Vierfaches des Vorjahreswertes. Ausgangspunkt war fast immer Tobruk im Osten Libyens. 350 Kilometer sind es von hier nach Kreta.

Um den Migrantenstrom über diese Route zu begrenzen, will die griechische Regierung mindestens drei Monate lang keine Asylanträge von Menschen bearbeiten, die das Land von Libyen aus über den Seeweg erreichen. Flüchtlinge, die auf Kreta ankommen, sollen außerdem festgesetzt werden. Wie die „Bild“ am Mittwoch berichtete, wird dafür auf der Ferieninsel ein Sonder-Gefängnis gebaut.

Die Entwicklung auf Kreta steht in deutlichem Kontrast zu den insgesamt sinkenden Zahlen auf den Mittelmeer-Routen. Laut UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR lag der Wert im ersten Halbjahr um elf Prozent unter dem von 2024, bis Dienstag waren 69 386 Ankünfte auf EU-Gebiet registriert. Kreta indes verzeichnet mehr als ein Drittel aller Ankünfte in Griechenland (19 024 im ersten Halbjahr).

Die Rolle Libyens als Ausgangspunkt der Kreta-Route ist für Griechenlands Premier Kyriakos Mitsotakis ein „Problem, das wir unbedingt in den Griff bekommen müssen“. Dass Brunners Reise so abrupt endete, ist für EU wie Griechenland deshalb eine denkbar schlechte Nachricht.

Leicht war die Zusammenarbeit mit Libyen nie. Brüssel zahlt der Einheitsregierung Milliarden, damit die Küstenwache Migranten von der Reise nach Europa abhält – und hört weg, wenn es um Menschenrechtsverletzungen geht. Ein ähnlicher, womöglich noch heiklerer Deal könnte sich auch im Osten des Landes anbahnen, wo General Chalifa Haftar das Sagen hat. Der Warlord wird von Russland unterstützt und pflegt enge Kontakte in die Türkei – zulasten Griechenlands.

Hintergrund ist ein Abkommen zwischen Libyen und der Türkei über die Förderung von Öl und Gas im Mittelmeer. Der Pakt definiert einen Korridor zwischen den beiden Ländern – und ignoriert die Gewässer vor Kreta und dessen Ansprüche. Seit Monaten verhandelt Griechenland deshalb mit zwei US-Konzernen, die vor Kretas Südküste Vorkommen erschließen sollen. Eine Zusammenarbeit hätte zur Folge, dass sich die Interessen von Washington und Athen in der Region decken würden. Nebeneffekt: Die Migrationsroute aus Ostlibyen könnte geschlossen werden.

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