,Wie kann man so eiseskalt sein‘

von Redaktion

Frostige Beziehung: Oppositionsführerin Alice Weidel und Friedrich Merz haben füreinander nur Verachtung übrig. © AFP

München/Berlin – Kurz wird es sogar ein wenig lyrisch. Aber wirklich nur ganz kurz. Matthias Miersch bemüht gestern Vormittag im Bundestag Roland Kaiser: „Was hat dir dein Herz gestohlen?“, fragt der SPD-Generalsekretär die AfD-Fraktionschefin Alice Weidel. „Wie kann man so eiseskalt, so hasserfüllt als Mensch eine solche Rede halten, wie Sie das eben getan haben?“

Haushaltswoche im Bundestag. Generalaussprache. Das ist selten lyrisch. Aber immer der Moment, wo es ums große Ganze geht. Es gibt also wahrlich viel zu besprechen an diesem Mittwoch: den Start eines neuen Kanzlers und einer neuen Regierung. Eine gigantische Neuverschuldung, die Aufrüstung, einen neuen Kurs in der Zuwanderung. Und den Ton darf Alice Weidel setzen.

Eigentlich hat sich die AfD ja erst vor wenigen Tagen vorgenommen, künftig gemäßigter im Parlament aufzutreten. Womöglich mit dem Hintergedanken, irgendwann doch als möglicher Koalitionspartner der Union infrage zu kommen. Doch darauf deutet an diesem Morgen wenig hin. Weidel spricht zwar fast bemüht ruhig. Aber inhaltlich umso schärfer. Merz setze „die Ampelpolitik eins zu eins“ fort. Die Regierung erfülle „linken Sektierern der abgewirtschafteten SPD“ jeden Wunsch. Merz‘ Kanzlerschaft gehe „als der größte Wahlbetrug in die Geschichte ein“. Sein Wort sei nichts wert. Er sei ein „Lügenkanzler“, ein „Papierkanzler“ und bereite schon seinen nächsten Lobbyposten vor. Und das Bürgergeld? „Migrantengeld wäre die richtige Bezeichnung.“

Santa Maria! Friedrich Merz jedenfalls hat schon ordentlich Betriebstemperatur, als er ans Rednerpult tritt. Überzogene und selbst maßlose Kritik seien in einer Debatte ja hinzunehmen und auszuhalten. Aber: „Halbwahrheiten, üble Nachrede und persönliche Herabsetzungen muss auch in einer Demokratie niemand unwidersprochen einfach hinnehmen“, schimpft der Bundeskanzler. Entsprechend weist er die Vorwürfe zurück. Als er dann seine Rede beginnt und auf den russischen Überfall der Ukraine verweist, reagiert die AfD-Fraktion mit einem lang gezogenen, höhnischen „Ohhh“. Da platzt Merz endgültig der Kragen. Erst vergangene Nacht habe es die schlimmsten Angriffe ausschließlich auf zivile Ziele gegeben, ruft der Kanzler. „Von Ihnen, Frau Weidel, kein Wort dazu – das sagt etwas aus, was Sie denken und wie Sie fühlen.“

Ja, dieser Morgen beginnt sehr emotional. Er wird es auch später noch einmal. Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) ermahnt Weidel wegen Zwischenrufen, diese schimpft zurück. „Wir zwei diskutieren hier nicht“, stellt die Präsidentin klar und droht offen mit Rauswurf: „Sonst können Sie den Saal hier verlassen.“

Merz dagegen bemüht sich, nach seinem kurzen Ausbruch in die Rolle des Staatsmanns zurückzukehren. Wie ein Buchhalter hakt er die einzelnen Punkte seiner 65 Tage im Amt ab. Große Überraschungen hat er nicht im Gepäck, verspricht aber, dass es bald Vorschläge für eine Bürgergeldreform geben werde, die Vorbereitungen dafür liefen auf „Hochtouren“ – „allerdings nicht mit Schaum vor dem Mund, nicht mit Ausländerdiskriminierung“.

Natürlich bekommt Merz auch Kritik von links. Da eskaliert die Debatte am Nachmittag, als die Grünen bei der Regierungsbefragung wissen wollen, wie es mit den Klimazielen aussieht. Merz bekennt sich zwar zu den Pariser Klimazielen, mit denen die globale Erwärmung auf 1,5 bis zwei Grad im Vergleich zu vorindustriellen Werten begrenzt werden soll. Deutschland sei aber ein kleines Land, ein kleiner Teil des Umweltproblems. „Selbst wenn wir alle zusammen morgen am Tag klimaneutral wären in Deutschland, würde keine einzige Naturkatastrophe auf der Welt weniger geschehen, würde kein einziger Waldbrand weniger geschehen, würde keine einzige Überschwemmung in Texas weniger geschehen.“ Klimaneutralität dürfe nicht mit einer „Deindustrialisierung unseres Landes“ einhergehen.

Die Grünen ärgern sich über die Sätze. Kritik kommt auch aus der SPD. „Damit kann kein Wissenschaftlicher einverstanden sein“, findet der ehemalige Gesundheitsminister Karl Lauterbach. „Mit dieser Argumentation könnten hunderte Länder den Klimaschutz sofort beenden. Was soll dann erst der einzelne Bürger denken?“

Artikel 1 von 11