Bestechung, Erpressung, Manipulation: Die Vorwürfe gegen eine Riege von Politikern der größten Oppositionspartei in der Türkei klingen bewusst schwerwiegend. Bislang 15 Bürgermeister inklusive sämtliche ihrer Vizes sowie hunderte Verwaltungsmitarbeiter sollen angeblich allesamt unter einer kriminellen Decke stecken – und ausgerechnet alle von der CHP oder ihr nahestehend. Jene Partei, die Präsident Erdogan gefährlich werden kann.
Zwar steht die nächste Präsidentschaftswahl erst 2028 an, doch schon jetzt ebnet Erdogan seinen Weg für eine dritte – laut Verfassung eigentlich nicht zulässige – Amtszeit. Doch der türkische Präsident nutzt ebenso kreative wie repressive Methoden, um sich an der Macht zu halten. Mit seinem momentanen Verhaftungswahn, unter dem Deckmantel der Korruptions- und Terrorismusbekämpfung, verfolgt er das offensichtliche Ziel, die mächtige Opposition einzuschüchtern, um sie später zu pulverisieren.
Die Wut über die Verhaftung des berühmten Istanbuler Bürgermeisters Imamoglu ist bei den CHP-Unterstützern vielleicht gerade nicht mehr so akut, sie kann sich aber schnell wieder entzünden. Spätestens wenn im September das Verfahren gegen Imamoglu beginnt, wird es für Erdogan eine Machtprobe, ob er die Protestwelle wirklich noch einfangen kann. LEONIE.HUDELMAIER@OVB.NET