KOMMENTARE

Der Geduldsfaden ist gerissen

von Redaktion

Richterwahl vorerst gescheitert

Auch bei der Wahl von Verfassungsrichter(inne)n gilt, dass die Bundestagsabgeordneten nicht in erster Linie dem Koalitionsfrieden, sondern ihrem Gewissen verantwortlich sind. Im Fall der von der SPD vorgeschlagenen Juristin Frauke Brosius-Gersdorf hatten die Skeptiker aus den Reihen der Union aus ihrer Sicht gewichtige Gründe, der Kandidatin ihre Zustimmung zu verweigern. Vor allem deren Haltung zur Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes – genauer gesagt der Frage, ob diese auch schon für das ungeborene Leben gilt – hatte christlich geprägte Abgeordnete in einen Zwiespalt gestürzt. Dies nicht vorher ausreichend erkannt zu haben, ist ein Managementfehler von Unions-Fraktionschef Jens Spahn.

Doch auch die SPD muss sich die Frage gefallen lassen, ob es eine gute Idee war, die umstrittene Kandidatin auf Biegen und Brechen durchsetzen zu wollen. Denn die hohe Glaubwürdigkeit und Reputation des Bundesverfassungsgerichts rührt auch daher, dass die Richterinnen und Richter „im Namen des Volkes“ und nicht im Namen aktivistischer Gruppen urteilen. Anders als die SPD-Ministerpräsidentin Manuela Schwesig meint, ist das höchste deutsche Gericht nicht dadurch „beschädigt“ worden, dass Abgeordnete sich der Richterbestellungsroutine der Parteivorsitzenden widersetzten. Den größeren Schaden hätte im Zweifel der Eindruck verursacht, dass da im Namen der Koalitionsräson eine Richterin durchgewunken wird, die aufgrund ihrer Haltung zur Impfpflicht, zur Menschenwürde und zum Kopftuch muslimischer Rechtsreferendarinnen die Frage aufwirft, ob es ihr im Richteramt um die Durchsetzung einer linken Agenda geht.

Viele Unionsabgeordnete haben bisher mit zusammengebissenen Zähnen mitgetragen, was der Koalitionspartner SPD ihnen zugemutet hat als Preis für die Wahl von Friedrich Merz zum Kanzler. Dazu zählt die rasante Ausweitung der Staatsausgaben bei gleichzeitigem Verzicht auf Einsparungen beim Bürgergeld. Auch ihr Versprechen, die Stromsteuer für alle zu senken, mussten CDU und CSU brechen. Jetzt ist einigen in der Union der Geduldsfaden gerissen. Daraus sollten alle lernen. Die Unionsführung darf es nicht zu weit treiben bei dem, was sie ihren Leuten abverlangt, um die Wünsche des linken SPD-Flügels zu erfüllen. Dem Partner bei jeder Gelegenheit mit der eigenen unruhigen Basis zu drohen, ist kein Privileg der SPD-Führung.GEORG.ANASTASIADIS@OVB.NET

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