INTERVIEW

Was hat Leo mit der Kirche vor?

von Redaktion

mit Kardinal Marx über Gespräche mit dem neuen Papst und die Sorge um die Welt

Fotos vom Konklave schauten sich Kardinal Marx und unsere Redakteurin Claudia Möllers an. © Oliver Bodmer

Kardinal Marx in der Bibliothek des Erzbischöflichen Palais in München. Im Regal steht eine Figur des auferstandenen Christus aus dem 15. Jahrhundert. © Oliver Bodmer

München – Kurz vor den Sommerferien ist der Münchner Kardinal Reinhard Marx guter Laune. Wir treffen ihn an einem der heißen Tage. Hohe Luftfeuchtigkeit, ein Gewitter hat nicht die ersehnte Erleichterung gebracht. Marx‘ Bischofssitz, das Palais Holnstein, hat keine Klimaanlage. Die dicken Mauern des dem Freistaat gehörenden Hauses in der Kardinal-Faulhaber-Straße können die Hitze nicht mehr abwehren. Auch in der Bibliothek staut sich drückende Schwüle. Doch der 71-jährige Kardinal, der noch immer an den Folgen seines Schulterbruchs laboriert, kommentiert lebhaft das Geschehen in Kirche und Welt. Berichtet von Treffen mit Papst Leo XIV., zeigt sich besorgt über die Weltlage, aber zuversichtlich für die Kirche und weitere Reformen.

Gut 60 Tage ist Papst Leo XIV. jetzt im Amt. Was hat Sie am meisten gefreut?

Die Papstwahl selbst natürlich. Wir konnten spüren, wie die ganze Welt nach Rom blickt – voller Hoffnung, so wie die Hunderttausenden in der Stadt! Und dass Papst Leo in einer freundlichen, ruhigen und sehr gesammelten Art auftritt. Er nimmt sehr viele Termine wahr und vermittelt den Eindruck: Ich will jetzt erst einmal für alle da sein, will zuhören. Er spricht mit der Kurie, will die Mitarbeiter dort gewinnen. Das ist sehr wichtig. Und er geht Schritt für Schritt voran.

Anders als sein Vorgänger.

Papst Franziskus wurde in aller Welt sehr geliebt, er hat unglaublich viel für die Kirche geleistet. Aber die Zusammenarbeit mit der Kurie war nicht immer einfach. Papst Leo war lange Jahre General des Augustinerordens in Rom, kennt Verwaltungsarbeit, weiß, wie man Personal einsetzt. Als ich ihm im vergangenen Jahr das erste Mal begegnet bin, habe ich gedacht: Das ist ein interessanter Mann mit einer breiten Erfahrung. Er strahlt Gelassenheit aus, und er weiß, was er will.

Wie oft haben Sie ihn denn getroffen bislang?

Im Vorkonklave, zuletzt bei einer Romfahrt mit den Dekanen aus unserem Erzbistum. Und wir haben uns auch schon getroffen, um uns über Finanzangelegenheiten auszutauschen.

Wie ist er im Gespräch?

Liebenswürdig, herzlich, unprätentiös und offen. Ich empfinde keine Hemmschwelle. Es ist einfach ein normaler Umgang. Ein sehr angenehmer Mann. Er lacht gerne.

Welche kirchenpolitischen Linien können Sie erkennen?

Im Vorkonklave war klar, dass das Pontifikat von Franziskus sehr wichtig war für die Kirche, eine große Bereicherung. Die Türen, die Franziskus geöffnet hat, die Aufmerksamkeit, die er überall auf der Welt erreicht hatte, das gab es so noch nie. Er hat Brücken geschlagen in die Gesellschaft hinein, zu anderen Religionen und Kulturen. Ich erinnere nur an ein Beispiel: Er hat am Gründonnerstag Männern und Frauen in Gefängnissen die Füße gewaschen, sie kamen aus verschiedenen Nationen, unter ihnen waren auch Muslime und ein Buddhist. Die Aufmerksamkeit war groß für diesen Papst. Innerkirchlich hatte er auch Kritiker, das war spürbar. Er war im positiven Sinn ein unkonventioneller Papst. Wir Kardinäle wussten: Wir suchen keine Kopie von Papst Franziskus, wir suchen den Nachfolger des Heiligen Petrus, der das Pontifikat von Papst Franziskus ernst nimmt.

Franziskus hat die Kurie ja heftig kritisiert.

Aber trotz aller Kritik: Franziskus hat den Vatikan nicht auf den Kopf gestellt. Aber er hat Zeichen gesetzt, durch die klar wurde: Das ist der Kern, darauf kommt es uns Christen an. Da war er sehr stark.

Synodalität war für Franziskus ein wichtiges Thema. Wie wird es weitergehen? Wird Papst Leo unterschiedliche Geschwindigkeiten bei der Umsetzung von Reformen zulassen?

Ich glaube, er ist da erst einmal offen. Es gibt sehr viele Erwartungen. Manche in Deutschland meinen, wir würden eine Art Kirchenversammlung einführen wie ein Parlament oder eine Demokratie. Andere möchten am liebsten zurück in die Vergangenheit und alles um den Synodalen Weg vergessen. Beides sehe ich nicht. Wir haben eine Struktur der Kirche, in der die Bischöfe eine besondere Verantwortung tragen. Das wird nicht abgeschafft. Aber wir brauchen mehr Synodalität, also die Einbeziehung aller in den Dienst der Kirche. Wie wir das organisieren können, ist offen. Für viele in der Weltkirche ist das Neuland. Ich sehe uns hier in München auf einem guten Weg. Wenn ich als Erzbischof bei theologischen und pastoralen Fragen keine gravierenden Probleme erkenne, dann bin ich bereit, einer mit Zwei-Drittel-Mehrheit beschlossenen Empfehlung unseres synodalen Gremiums zu folgen. Was Rom eher nicht möchte – und da bin ich auch skeptisch –, ist ein nationales Gremium, das mir als Bischof und uns im Erzbistum vorschreibt, was wir zu tun haben.

Papst Leo hat schon deutliche Aussagen zum Zölibat gemacht, so dass man daraus schließen könnte, dass er andere Wege wie verheiratete Priester ausschließt…

Das habe ich so nicht gehört. Zunächst geht es darum, die Ehelosigkeit als Lebensform positiv zu bewerten und zu schützen. Muss man den Priesterberuf aber beschränken auf zölibatär lebende Männer? Sehen wir wirklich alle Berufungen, die uns Gott schenkt? Oder versperren wir uns hier? Die Tür zu dieser Diskussion ist nicht geschlossen. Ich glaube nicht, dass Papst Leo da völlig festgelegt ist. Er hat Basiserfahrung, gerade aus Lateinamerika.

Wenn wir einen Blick auf die Welt werfen, wird Ihnen da angst und bange?

Es ist bedrohlich! Nach 1989 haben wir gedacht, es wird besser, die Leute werden vernünftiger. Nun haben wir eine Welt, die ist unsicherer geworden, konfrontativer, polarisierter. Und das Problem liegt eben nicht nur in den Ländern mit Diktatoren, bei den Putins, Chameneis oder in China. Sondern sogar bei uns: Wofür stehen wir mit unseren Werten? Auch in dem großen Friedensprojekt der Europäischen Union nimmt der Nationalismus zu. Je mehr nationalistische Bewegungen auf unserem Kontinent sind, umso mehr schwindet die Möglichkeit, sich zu einigen. Das gefährdet den Frieden.

Was sorgt Sie besonders?

Der Krieg in den verschiedenen Ländern. Es entsteht ein Wettrüsten, das mich erschrecken lässt. Soll das unsere Rettung sein? Eine Ressourcenverschwendung für immer neue Waffen? Ich habe da ein großes Fragezeichen. Ich bin mir nur sicher: Der Krieg kann nicht die Lösung sein – die Politik muss Wege finden, wie wir als Nachbarn wieder in Frieden zusammenleben können. Denken Sie nur an Gaza: Zu welchem Preis wird dort versucht, die Hamas zu vernichten! Glaubt denn wirklich jemand, dass die Hamas einfach verschwindet und mit ihr der ganze Hass? Als Bischof muss ich auch diese Fragen stellen.

Wie sehr sehen Sie die Demokratie gefährdet?

Wir haben uns geirrt und als gesichert angenommen, die Demokratie sei ein Selbstläufer. Dabei ist sie ein kompliziertes und anspruchsvolles Gebilde. Wir haben vielleicht zu stark von den Rechten der Einzelnen und deren Ansprüchen her gedacht. Dabei können wir nur dann eine Demokratie sein, wenn wir begreifen, dass es uns Menschen am besten geht, wenn wir als Gemeinschaft in Solidarität zusammenleben. Es ist eben falsch zu meinen: Wenn nur jeder an sich denkt, ist für alle gesorgt! Wenn wir nicht bereit sind, ein Gemeinwesen aufzubauen und mehr zu tun als das, wozu wir verpflichtet sind, wird das nicht gehen. Ich glaube, dass gerade die kommenden Generationen deutlich für die Freiheit streiten müssen. Ich wünsche mir, dass wir das als Christen mit dem vollen Bewusstsein tun, dass die Freiheit ein Geschenk Gottes ist. Wir könnten damit einen starken Impuls geben für die gesamte Gesellschaft.

Welche Rolle trauen Sie dem Papst zu als Vermittler zwischen den Kriegsparteien?

Er kann nicht die Politik ersetzen, aber der Papst wird sicher versuchen, alle Chancen zu nutzen. Es wird nicht immer öffentlich werden. Man muss auch manchmal über lange Zeit im Hintergrund wirken, so dass Vertrauen wachsen kann.

Der Papst macht jetzt – anders als Franziskus – Urlaub in Castel Gandolfo. Das wäre doch was: Wenn es Fotos gäbe vom Tennis spielenden Leo XIV…

(lacht) Das ist etwas für die Yellow Press! Aber ich würde es ihm sehr gönnen, wenn er sich auch Zeit für ein Tennisspiel nimmt. Er macht offenbar gerne Sport. Franziskus war nie in Urlaub. Ich habe ihm das gesagt: „Sie müssen doch mal Urlaub machen.“ Da hat Franziskus geantwortet: „Im August schlafe ich dann eine Stunde länger.“ Das war eben er. Aber das muss nicht so sein. Papst Leo geht jetzt erst einmal in Ferien. Ich freue mich für Leo.

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