China erlebt einen Russland-Hype

von Redaktion

Peking – Zielsicher steuert Herr Xu auf das Regal mit dem Wodka zu. „Als Geschenk, für Freunde“, sagt er und nimmt sich drei Flaschen. Herr Xu und seine Frau sind mit einer Reisegruppe zu Besuch in Peking, sie kommen aus Xinyang, einer Millionenstadt in der zentralchinesischen Provinz Henan. Einen Laden wie jenen, in dem man ihn an einem regnerischen Vormittag trifft, habe er noch nie gesehen, sagt Herr Xu.

Es ist ein russischer Supermarkt, der Herrn Xu so begeistert, einer von vielen, wie sie in den vergangenen Monaten in China aufgemacht haben. Das Geschäft liegt in einer vor allem bei Touristen beliebten Einkaufsstraße, ein paar hundert Meter südlich vom Platz des Himmlischen Friedens. Dunkle Schokolade der russischen Marke IZP liegt in den Regalen, mit Blaubeeren gefüllte Kekse, Gläser mit eingelegtem Gemüse, verschiedene Sorten Honig. Und lange Reihen mit Alkohol füllen die Regale, vor allem Wodka. „Der verkauft sich am besten“, sagt eine Verkäuferin. Die Front des Ladens ist in den russischen Landesfarben gehalten, Weiß, Blau und Rot, von Schildern im Inneren winkt der russische Bär.

„China und Russland sind sich sehr nahe“, sagt die Verkäuferin, als man sie fragt, warum in China in den letzten Jahren so viele russische Läden eröffnet haben. Man teile schließlich eine lange Grenze. Die Menschen allerdings seien sich nicht so nahe. Russen gebe es nur wenige in China, und in Russland selbst sei sie noch nie gewesen. Die kyrillischen Buchstaben auf den russischen Waren könne sie nicht lesen. „Aber es steht ja auch alles auf Chinesisch drauf“, sagt sie und zeigt auf einen Aufkleber auf einer Kekspackung.

Begonnen hat der Russland-Boom ausgerechnet im Jahr 2022, als Kreml-Machthaber Wladimir Putin seinen Truppen den Befehl zum Angriff auf die Ukraine gab. Mehr als 2500 neue Unternehmen, die mit russischen Waren handeln, wurden laut „CNN“ seit 2022 in China registriert. Fast die Hälfte davon im vergangenen Jahr.

Während sich die meisten westlichen Länder seit Beginn des Ukraine-Kriegs von Russland abgewendet haben, wurden diese Beziehungen enger. Putin und Chinas Staatschef Xi Jinping treffen sich regelmäßig, zuletzt war Xi im Mai in Moskau. China unterstützt Russlands Angriffskriegs mit der Lieferung von Dual-Use-Gütern, die zu zivilen und militärischen Zwecken genutzt werden können.

Und weil die meisten westlichen Unternehmen Russland seit Kriegsbeginn verlassen haben, springen chinesische Firmen ein, um die Lücken zu füllen. Im vergangenen Jahr kletterte das Volumen des bilateralen Handels zwischen China und Russland deshalb auf ein Rekordhoch von knapp 245 Milliarden US-Dollar.

Auch diplomatisch deckt Peking dem Kreml den Rücken. Bis heute hat China die Invasion der Ukraine nicht öffentlich verurteilt, einen Abzug der russischen Truppen fordert Peking nicht. Stattdessen verbreitet die chinesische Propaganda unablässig das Narrativ, nicht Russland sei schuld an der Eskalation des Ukraine-Konflikts, sondern die USA und die Nato. Und die Propaganda scheint zu wirken. In einer Umfrage der Pekinger Tsinghua-Universität sagten im vergangenen Jahr 66 Prozent der Befragten, sie würden „sehr positiv“ oder „eher positiv“ auf Russland blicken. Neben der Russland-freundlichen Staatspropaganda könnte ein Grund dafür sein, dass immer mehr Russen Urlaub in China machen. SVEN HAUBERG

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