Es sind alle wieder sehr, sehr aufgeregt. Die vertagte Wahl dreier Verfassungsrichter scheint das Land an den Rand einer Regierungskrise geführt zu haben. Sieben Jahrzehnte lang hatte Deutschland seine Richter – konservative, liberale, linke – relativ geräuschlos ernannt. Anders als in den USA, wo die Richter oft rein politisch ausgewählt werden, garantierte die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag immer eine ausgewogene Besetzung mit gemäßigten Kandidaten. Die Begrenzung der Amtszeit tat ihr Übriges. Auch in der Praxis gab es selten Anlass, dem Gericht Ideologie zu unterstellen. In der Regel fallen Entscheidungen einstimmig oder mit großer Mehrheit. Vor diesem Hintergrund war es sogar möglich, dass mit Peter Müller ein ehemaliger Ministerpräsident gewählt wurde. Ohne parteipolitischen Aufschrei.
Jetzt ist alles anders – und es wäre sehr bedauerlich, wenn dieser Vorgang Schule macht. Aktivistische Nischenmedien werfen einer der breiten Masse unbekannten Richterin Aktivismus vor. Und plötzlich gibt es im Land zehntausende Experten für die juristischen Schriften von Frauke Brosius-Gersdorf. Ihre Kritiker wittern linke Unterwanderung, die Verteidiger unterstellen der Gegenseite als Hauptmotiv Frauenfeindlichkeit. Wollen wir unsere Debatten künftig wirklich so führen?
Um nicht falsch verstanden zu werden: Dass Abgeordnete bei einem Personalvorschlag Bedenken anmelden, ist völlig legitim. Aber dass man erst jetzt – wo das Kind im Brunnen liegt – auf die Idee kommt, die Kandidatin einfach mal zum Gespräch zu laden, befremdet sehr. Wäre eine Vorstellungsrunde vor einer Wahl nicht das Normalste der Welt?
Bedenklich stimmt, wie unvorbereitet die Koalition in dieses Schlamassel gestürzt ist. Die neue Regierung krankt daran, dass in der CDU bis hinauf zum Kanzler niemand Erfahrung in einer Bundesregierung hat. So unterlaufen handwerkliche Fehler. In diesem Fall aber lag die Hauptschuld beim (erfahrenen) Fraktionschef Jens Spahn, der zu sehr mit seiner Verteidigung in der Masken-Frage beschäftigt scheint, aber auch bei seinem SPD-Kollegen Matthias Miersch. Beide müssen schleunigst kapieren, dass sie inzwischen im gleichen Team spielen.