Berlin – Ist sie eine Linksradikale und deshalb unwählbar als Richterin am Bundesverfassungsgericht? Die SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf meldet sich erstmals seit der geplatzten Wahl im Bundestag selbst zu Wort – und weist öffentliche Vorwürfe deutlich zurück. „Die Bezeichnung meiner Person als ,ultralinks‘ oder ,linksradikal‘ ist diffamierend und realitätsfern“, schreibt die Juristin in einer Stellungnahme, die sie über eine Anwaltskanzlei veröffentlichte.
Darin wirft Brosius-Gersdorf auch Teilen der Medien vor, ihre Berichterstattung sei „unzutreffend und unvollständig, unsachlich und intransparent“ gewesen. „Sie war nicht sachorientiert, sondern von dem Ziel geleitet, die Wahl zu verhindern.“ Kritik müssten sich auch „einzelne staatliche Funktionsträger gefallen lassen“.
Eigentlich sollte Brosius-Gersdorf am vergangenen Freitag im Bundestag zusammen mit einer weiteren Richterin und einem Richter für Karlsruhe gewählt werden. Doch die Wahl wurde kurzfristig von der Tagesordnung genommen, weil die Führung der Unionsfraktion die mit der SPD verabredete Unterstützung für die Jura-Professorin nicht mehr garantieren konnte. Mehrere Unionsabgeordnete hatten Brosius-Gersdorf öffentlich als ungeeignet und unwählbar bezeichnet, andere ließen sich anonym zitieren, die Juraprofessorin sei „eine ultralinke Juristin“. Begründet wurde das unter anderem mit Äußerungen von Brosius-Gersdorf zu Corona-Impfungen und mit ihrer Haltung zu Abtreibungen.
Die Juristin wehrt sich dagegen. „Ordnet man meine wissenschaftlichen Positionen in ihrer Breite politisch zu, zeigt sich ein Bild der demokratischen Mitte“, betont sie. Das Bild einer Linken beruhe „auf einer punktuellen und unvollständigen Auswahl einzelner Themen und Thesen, zu denen einzelne Sätze aus dem Zusammenhang gerissen werden, um ein Zerrbild zu zeichnen“.
So sei die Behauptung falsch, sie sei für eine Legalisierung und eine Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs bis zur Geburt. Sie habe lediglich auf die Tatsache hingewiesen, dass nach aktueller Rechtslage auch ein Abbruch aus medizinischen Gründen – etwa bei Gefahr für Leben und Gesundheit der Frau – unzulässig sei. „Der Vorwurf, ich würde für einen Schwangerschaftsabbruch bis zur Geburt eintreten und sei ,lebenskritisch‘, ist falsch und entbehrt jeder Grundlage.“ Auch ihre Positionen zu einem Kopftuchverbot und zu Paritätsmodellen für die Wahl des Bundestags seien unzutreffend wiedergegeben worden.
Die Lage scheint festgefahren. Dass Brosius-Gersdorf zurückzieht – wie manche in der Union sich wünschen – scheint unwahrscheinlich. Die SPD hält auch an ihr fest und sieht sich bestärkt. Bisher deutet alles darauf hin, dass man zunächst in die parlamentarische Sommerpause geht und eine neue Richterwahl im September anpeilt. Den Grünen ist das viel zu spät: Sie fordern eine Sondersitzung des Bundestags noch in dieser Woche. „Wir halten es für unverantwortlich, diese wichtige Entscheidung des Bundestags über Wochen offenzulassen“, mahnen die Fraktionschefinnen Katharina Dröge und Britta Haßelmann in einem Brief an ihre Amtskollegen Jens Spahn (CDU) und Matthias Miersch (SPD).
Scharfe Kritik am Umgang mit Brosius-Gersdorf gibt es in einem Brief, den 300 Rechtswissenschaftler, darunter ehemalige Verfassungsrichter, unterzeichnet haben. Man protestiere „nachdrücklich gegen die Art und Weise“. Die in Fachkreisen unstrittige Juristin sei Opfer „einer mit Unwahrheiten und Diffamierungen gespickten Kampagne“. Der Union attestiert man fehlendes politisches Rückgrat.