Sie wollen hoch hinauf: Ministerpräsident Söder lädt Kanzler Merz zur Kabinettssitzung ein – auf der Zugspitze. © Kneffel/dpa
Grainau – Keine sechs Minuten vergehen auf dem Gipfel, da könnte man schon den ersten Seitenhieb vom Ministerpräsidenten heraushören. Mitten im Trubel zwischen Unterschrift im Goldenen Buch, Geschenkübergabe und ganz vielen Kameras spricht Markus Söder plötzlich über „dicke Sauerländer“. Während neben ihm der wohl bekannteste Sauerländer steht: Bundeskanzler Friedrich Merz. Schnell aber gibt es Entwarnung – Markus Söder sinniert nur über sein Lieblingsessen. Würschte.
Der CSU-Chef hat nach Bayern geladen, auf die Zugspitze, den höchsten Berg Deutschlands. Der CDU-Chef ist gekommen und nimmt an der bayerischen Ministerratssitzung teil – auf 2962 Metern. Und wenn der Außenkanzler schon mal in Deutschland auf Reisen geht, als Erstes sogar in Bayern Halt macht, dann gibt es volles Programm. Roter Teppich zur Seilbahn, Gebirgsschützen im Tal, Schuhplattler auf dem Gipfel.
Als Gastgeschenk gibt es den obligatorischen Wanderrucksack inklusive Lebkuchenherz, den auch schon Ex-US-Präsident Joe Biden und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron beim G7-Gipfel in Elmau bekommen haben. Voll bepackt mit allem, „was schön macht“, sagt Söder, „und gesund“. Vor allem aber so schwer, dass Merz ein bisschen zusammensackt als er ihn entgegennimmt. Symbolisch für Bayerns Wunschliste an Berlin.
Beim Foto vor dem im Nebel versunkenen Gipfelkreuz und bei lauschigen fünf Grad im Sommer setzt Söder dann wirklich zu einem Seitenhieb an. „Deutschland ohne Bayern wäre traurig, aber Bayern ohne Deutschland wäre reich“, lautet seine Gleichung. „Aber wir sind gern dabei.“ Der Akzent ist gesetzt: Klare Kante, aber bloß nicht den heißen Draht zum Kanzler kappen.
Fast zwei Stunden dauert die Kabinettssitzung, bei der die bayerischen Minister ihre Anliegen direkt adressieren. Merz und Söder sitzen sich dabei wie zwei Herausforderer gegenüber. Doch bei der anschließenden Pressekonferenz – diesmal vor strahlendem Bergpanorama als Fotowand – strotzen die beiden nur so vor Einigkeit.
Merz lässt dem Gastgeber Söder Vortritt und der wiederum lobt die seit drei Jahren „hervorragende und verlässliche Zusammenarbeit“ mit ihm. „Da gilt ein Wort.“ Für die ersten zehn Wochen in der Bundesregierung zollt Söder dem Kanzler Respekt.
Weil aber die drei Jahre Rezession auch vor „Bayern nicht Halt“ machen, baut Söder etwa bei den amerikanischen Zoll-Drohungen gegen die EU auf ein Ergebnis „bis zum August, hoffentlich“. Merz versichert, im intensiven Kontakt mit US-Präsident Donald Trump und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zu stehen, an einer Lösung zu arbeiten. „Das wird nicht leicht, aber ich bleibe zuversichtlich.“ Noch setzt Merz in seiner Verhandlungstaktik nicht auf direkten Druck, wirbt vorerst dafür, keine Gegenzölle zu erheben. Aber: Die amerikanische Regierung solle die europäische Bereitschaft für Zölle nicht unterschätzen. „Wir sind vorbereitet in der Europäischen Union.“
Da Bayerns Wirtschaft großen „Energiehunger“ hat, stehen auf Söders Wunschliste noch ein paar mehr Punkte. So fordert er einen „massiven Einsatz von Gas-Kraftwerken“, wünscht sich mehr Leitungen Richtung Süden und hofft darauf, dass beim Ausbau von Erneuerbaren Energien „auch auf Biomasse und Biogas“ gesetzt wird. Außerdem bittet der Freistaat um Unterstützung im Ausbau seiner Spitzenreiterrolle bei der Künstlichen Intelligenz und im Quanten-Computing. Merz verspricht, dass der Bund sich der bayerischen Hightech-Agenda anschließen wird und dafür „in ähnlicher Größenordnung“ Geld in die Hand nimmt. Der Freistaat hat dafür 5,5 Milliarden Euro locker gemacht.
Bei der Migration klopfen sich die beiden Parteichefs gegenseitig verbal auf die Schultern. Kein Wunder: Merz‘ Innenminister ist Söders Vertrauter Alexander Dobrindt (CSU). Und der richtet am Freitag für seine europäischen Amtskollegen einen Asylgipfel aus – ja, auf der Zugspitze. Etwa bei den Grenzkontrollen hofft Merz auf eine europäische Lösung. Denn die deutschen Kontrollen seien nur „ein zeitlich begrenzter Einsatz zur Lösung eines Problems“.
Bei all dem Lob füreinander gerät fast schon der Koalitions-Zwist der vergangenen Woche in den Hintergrund. Ungewohnt selbstkritisch räumt Merz ein: „Das hätten wir besser machen können.“ Konkret meint er „kommunikativ das Thema Stromsteuer und handwerklich das Thema Richterwahl“. Da müsste man nachjustieren. Auf Söders Skala hätte die Arbeit der Koalition eigentlich eine eins minus verdient, wegen letztem Freitag liegt sie jetzt bei einer zwei plus. Also immer noch gut.