Ist das Rentensystem noch gerecht? Ein älteres Paar genießt einen Tag am Strand. Doch nicht allen geht es so gut. © Büttner/dpa
München – Es ist ein heißes Eisen, das Schwarz-Rot bei den Koalitionsverhandlungen lieber nicht anpackte. Im Koalitionsvertrag stehen zwar teure Beschlüsse: die gesetzliche Sicherung des Rentenniveaus bei 48 Prozent bis zum Jahr 2031 und der Ausbau der Mütterrente. Doch wie das deutsche Rentensystem dauerhaft gesichert werden kann, sucht man in dem Papier vergeblich. Bis zur Mitte der Legislaturperiode soll eine Rentenkommission Vorschläge erarbeiten.
Damit ist der Ideenwettbewerb eröffnet. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) schlägt nun zur Stabilisierung des Systems eine neue Abgabe für Rentner mit hohen Einkommen vor – einen „Boomer-Soli“. „Der demografische Wandel ist eine große Aufgabe, die mit Blick auf das Rentensystem enorme Anstrengungen erfordert“, sagt Maximilian Blesch, einer der Autoren. Die geburtenstarken Jahrgänge der 1950er- und 60er-Jahre – die sogenannten Boomer – hören in den nächsten Jahren zu arbeiten auf. Die Verschiebungen sind enorm: Gingen 2010 rund 670000 Menschen in Altersrente, waren es 2023 schon mehr als 950000.
Was kann man tun? Stellschrauben der Rentenpolitik sind der Beitragssatz, das Sicherungsniveau, das Eintrittsalter und der Steuerzuschuss. Schon jetzt flössen 20 Prozent des gesamten Bundeshaushalts in die Rente. „Die Rentenpolitik hat es in den vergangenen Jahren versäumt, ausreichend finanzielle Rücklagen aufzubauen“, sagt Peter Haan, Leiter der Abteilung Staat im DIW Berlin. Steuerexperte Stefan Bach ergänzt: „Es wäre nicht fair, die anstehenden Lasten des demografischen Wandels vor allem den jüngeren Generationen aufzubürden. Ein Boomer-Soli kann helfen, für Ausgleich zu sorgen. Er träfe in erster Linie gut versorgte Ruheständler, denen es nicht allzu weh tut, einen zusätzlichen Beitrag zu leisten.“
Das Besondere an dem Konzept ist laut DIW, dass die Umverteilung ausschließlich innerhalb der älteren Generation erfolge, Jüngere blieben weitgehend verschont. Sie werden schon über Beiträge und Steuerzuschüsse zur Kasse gebeten. Eine Sonderabgabe von zehn Prozent – nach Abzug eines Freibetrags von monatlich 1000 Euro – auf alle Alterseinkünfte würde die 20 Prozent der Rentnerhaushalte mit den höchsten Einkommen „moderat belasten“, so das DIW.
Der Soli würde dem Vorschlag zufolge auf alle Einkommen von Ruheständlern erhoben, also neben gesetzlichen, privaten und betrieblichen Renten auch auf Pensionen und sonstige Versorgungsbezüge sowie möglicherweise auch auf Einkünfte aus Vermögen. Erwerbseinkommen werden nicht einbezogen, um keine falschen Anreize zu setzen. Im Gegenzug könnten die niedrigeren Renten um zehn bis elf Prozent steigen. Die sogenannte Armutsrisikoquote sänke von 18 auf 14 Prozent. „Der Boomer-Soli ist ein Vorschlag, der die Chance bieten würde, dass alle Generationen an der Bewältigung der Aufgabe mitarbeiten“, sagt DIW-Experte Maximilian Blesch.
Bislang ist das alles graue Theorie – bis zu einer Umsetzung wäre es ein weiter Weg. Aus der Union kommt bereits Widerspruch. „Ein Schnellschuss in der Rente bringt niemanden weiter“, sagt die bayerische Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU) unserer Zeitung. „Für mich steht außer Frage, dass wir eine Rentenreform brauchen.“ Vorschläge dafür werde aber – wie im Koalitionsvertrag vereinbart – eine Rentenkommission erarbeiten. „Klar ist für mich, dass wir Vertrauen in unser Rentensystem und Generationengerechtigkeit schaffen müssen“, sagt Scharf.
In der SPD klingt man ebenfalls vorsichtig, aber etwas aufgeschlossener. Der Vorschlag sollte als eine Idee in der Rentenkommission geprüft werden, sagt der Münchner Abgeordnete Sebastian Roloff, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. „Denn ob zur langfristig gesicherten Finanzierung der Rente ein zusätzlicher Soli oder ein gerechteres Steuersystem am besten geeignet ist, hängt von der konkreten Ausgestaltung ab und muss deshalb in einem passenden Gesamtkonzept bewertet werden.“