Sollte Frauke Brosius-Gersdorf gehofft haben, mit ihrem Auftritt bei „Lanz“ die Vorbehalte in der Union gegen ihre Eignung als Bundesverfassungsrichterin ausgeräumt zu haben, so hat sie sich geirrt: Die Ablehnung hat sich seither eher noch verfestigt. Erst recht, weil die Kandidatin beim Thema Abtreibung nur mit der halben Wahrheit aufwartete, als sie behauptete, die „absolut gemäßigte Mitte der Gesellschaft“ zu vertreten. Dass sie sich in einer von der Ampelregierung eingesetzten Expertenkommission etwa dafür aussprach, Schwangerschaftsabbrüche gegebenenfalls auch in späteren Schwangerschaftsphasen zuzulassen, sparte sie vor ihrem TV-Millionenpublikum aus.
Das empört die Kirchen und ihnen nahestehende Abgeordnete. Doch versetzt ein anderes Thema CDU und CSU in noch größere Aufregung: Würde der Bundestag beide von der SPD vorgeschlagene Richterinnen ins Verfassungsgericht wählen, käme dort wohl eine Mehrheit für ein AfD-Verbot zustande, das die SPD auf ihrem Parteitag gerade gefordert hat. Brosius-Gersdorf jedenfalls hat ihre Präferenz bereits klar bekannt. Die Folgen eines solchen Verbots für die Parlamente wären gewaltig: An dem Tag, an dem ein AfD-Verbot durch Karlsruhe gebilligt würde, verlören alle AfD-Abgeordneten im Bundestag und den Landesparlamenten ihre Mandate. Dann, warnt mit dem Historiker Andreas Rödder einer der wichtigsten Intellektuellen in der CDU, gäbe es in den meisten Parlamenten plötzlich juristisch durchgesetzte rot-rot-grüne Mehrheiten. Ganz zu schweigen vom Schaden für die Demokratie, wenn die Partei, die bei Wahlen die zweitmeisten Stimmen errang, durch die Justiz annulliert würde. Das wäre, mahnt Rödder, „der Weg in den Bürgerkrieg“.
Die Politisierung, die das Verfassungsgericht durch die Debatte der vergangenen Tage, aber auch durch das sehr dezidierte Profil der streitbaren Juristin erlebt hat, tut dem Land nicht gut. Um Schaden vom Hohen Gericht abzuwenden, sollte Frauke Brosius-Gersdorf tun, was sie bei „Lanz“ angedeutet hat, und ihre Kandidatur zurückziehen. So wie es die Union in einem vergleichbaren Fall mit einem ihrer Kandidaten tat, der bei den Grünen auf Ablehnung stieß. Eine Staatsaffäre wie jetzt hat damals keiner daraus gemacht. Richtigerweise. Dass es diesmal anders kam, hat sich die Unionsführung durch ihre Ungeschicklichkeit leider auch selbst zuzuschreiben.