Rechte kapern Japans Wahlkampf

von Redaktion

Kandidaten und Unterstützer von Nippon Ishin beim Wahlkampf in Tokio. © IMAGO/Ken Asakura

München – Im Januar war es ein Türke, der in der Großstadt Yokohama mit seinem Lastwagen eine Radfahrerin überfuhr. Im Mai ein Mann aus Peru, der in der Präfektur Mie zehn Kilometer auf der falschen Straßenseite unterwegs war. Und im selben Monat ein offenbar betrunkener Chinese, der in der Präfektur Saitama seinen Wagen in eine Gruppe Schulkinder steuerte und anschließend Fahrerflucht beging.

Binnen fünf Jahren ist in Japan die Zahl der Unfälle, an denen Ausländern beteiligt waren, um 30 Prozent gestiegen – weil immer mehr Ausländer sich um eine japanische Fahrerlaubnis bemühen, inzwischen sind es gut 1,25 Millionen. Den Führerschein in einen japanischen umzuwandeln, ist einfach, meist reicht es, ein paar Fragen in einem Multiple-Choice-Test zu beantworten. Japans Polizeibehörde will die Regeln nun verschärfen. Wegen der Unfälle.

Die Geschichte könnte hier zu Ende sein, wenn in Japan nicht gerade Wahlkampf wäre. Am Sonntag wählen die Japaner ein neues Oberhaus, und statt über den richtigen Umgang mit Donald Trumps Strafzöllen zu diskutieren oder über die niedrige Geburtenrate, redet das Land in diesen Tagen über Ausländer.

An vorderster Front: die ganz Rechten. „Japaner zuerst“, fordert die rechtspopulistische Kleinpartei Sanseito in ihrer Kampagne, sie kritisiert eine „exzessive Aufnahme von Ausländern“ und will ein System einführen, um zu überprüfen, dass sich Ausländer dem Land gegenüber „loyal“ verhalten. Bei einer Kommunalwahl in Tokio hatte Sanseito im Juni erstmals drei Sitze gewonnen. Mit ihrer fremdenfeindlichen Agenda hat es die Partei nun in kurzer Zeit geschafft, den Oberhaus-Wahlkampf zu kapern. Und die Regierung unter Zugzwang zu bringen.

Am Dienstag verkündete Premierminister Shigeru Ishiba die Eröffnung einer neuen Regierungsbehörde, rund 80 Beamte sollen sich dort um Ausländerbelange kümmern. Dabei geht es unter anderem um verstärkte Kontrollen bei der Einreise und um den Landerwerb durch Ausländer. „Es ist wichtig, dass wir strenger gegen diejenigen vorgehen, die sich nicht an unsere Regeln halten“, sagte Ishiba.

Auch wenn Ishiba behauptet, die Schaffung der Behörde habe nichts mit dem Wahlkampfgetöse der extremen Rechten zu tun, dürfte der Zeitpunkt seines Vorstoßes kein Zufall sein. Denn in einigen Umfragen liegt die rechte Sanseito auf dem zweiten Platz. Ishibas konservative LDP hingegen, die Japan seit 1955 fast ununterbrochen regiert, droht die Parlamentsmehrheit zu verlieren, die sie zusammen mit einem kleinen Koalitionspartner hält. Eine Wahlschlappe könnte Premier Ishiba zum Rücktritt zwingen, dabei hatte er sein Amt erst im Oktober angetreten.

Auch andere japanische Parteien haben das Thema entdeckt. Die Demokratische Volkspartei fordert, dass „die vom japanischen Volk gezahlten Steuern für eine Politik für das japanische Volk verwendet werden“. Ähnlich tönt es von Nippon Ishin: „Ausländer sollen nur dann zur Arbeit zugelassen werden, wenn sie zum Wachstum der japanischen Wirtschaft beitragen können.“

Ende 2024 lebten in Japan knapp 3,8 Millionen Ausländer. Das waren zwar so viele wie nie zuvor – bei einer Gesamtbevölkerung von 124 Millionen aber nur gut drei Prozent. Und die wiederum sind laut Polizeistatistiken nur für zwei Prozent aller Vergehen im Land verantwortlich. Auch Asylbewerber gibt es in Japan kaum. Es ist also nicht so sehr die Gesamtzahl an Ausländern, die vielen Japanern Sorge bereitet. Sondern die Tatsache, dass es immer mehr werden, nachdem die Japaner zuvor über Jahrzehnte so ziemlich unter sich waren: 2024 stieg die Zahl der Ausländer um 10,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr – und um gut 50 Prozent binnen zehn Jahren. Die meisten kommen aus der Nachbarschaft, aus China, Südkorea und Vietnam.

Was ebenfalls zunimmt: die Vorurteile gegenüber Ausländern. In einer Umfrage sagten im Juni zwei Drittel der Befragten, Ausländer würden gegenüber Japanern bevorzugt. Dabei haben Ausländer in der Regel deutlich weniger Rechte, beispielsweise kein Anrecht auf Sozialleistungen. Für solche Zwischentöne ist in der aktuellen Debatte wenig Platz. Naoki Hyakuta, Anführer der rechtspopulistischen Konservativen Partei, warf Ausländern vor Kurzem sogar pauschal vor, sie würden „die japanische Kultur nicht respektieren, Regeln ignorieren, Japaner angreifen und ihr Hab und Gut stehlen“.

Artikel 7 von 11