Viele wollen ein zersplittertes Syrien

von Redaktion

Nahost-Kenner Simon Fuchs.

Angehörige der drusischen Volksgruppe kehren aus Israel nach Syrien zurück. © Alkharouf/IMAGO

Hunderte Tote haben die Gefechte der vergangenen Tage im Süden Syriens gefordert, rund 80 000 Menschen wurden laut UN-Angaben vertrieben, Israel intervenierte massiv. Jetzt wurde ein Waffenstillstand vereinbart. Simon Wolfgang Fuchs, Associate Professor für Nahoststudien an der Hebräischen Universität in Jerusalem, erklärt die Hintergründe.

Herr Fuchs, was sieht die Waffenstillstands-Vereinbarung genau vor?

Damaskus ist bereit, sein Militär zurückzuziehen. Für die Sicherheit vor Ort sollen Polizeikräfte des Innenministeriums sorgen. Diese umfassen vor allem Leute aus der Provinz Suweida, also lokale Kräfte, die in der Bevölkerung besser akzeptiert sind. Das könnte ein Ausweg sein. Aber offen ist, ob das reicht, da es sowohl innerhalb der Drusen als auch aus Israel die Forderung gibt, dass die Zentralregierung gar keine Präsenz im Süden haben soll.

Wie konnte es überhaupt derart eskalieren?

Zuletzt wurden immer religiöse Hintergründe betont – die sunnitischen Beduinen auf der einen Seite, auf der anderen die Drusen, die als Religionsgemeinschaft eigentlich außerhalb des Islam stehen. Ich denke, es geht auch um viel handfestere Aspekte wie Kontrolle über die Region, um Schmuggel von Waffen, um Drogenhandel. Gerade erst hat Jordanien zwei große Lieferungen der Droge Captagon aus Südsyrien abgefangen.

Der aktuelle Konflikt begann mit einem Überfall auf einen drusischen Gemüselaster.

Dahinter steht die Frage: Wer kontrolliert die Straße von Suweida nach Damaskus? Das sind Macht- und Verteilungskämpfe, die man aber leicht religiös aufladen kann.

Wer sind die Akteure beim Schmuggel?

Da ist die Datenlage ziemlich unklar. Es gibt aber Berichte, dass vor allem die Drusenfraktion um Hikmat al-Hidschri, der mit Israel verbündet ist, Interessen in dieser Hinsicht hat. Von beduinischer Seite scheint es Versuche zu geben, den Drusen das Monopol, das sie aktuell noch haben, streitig zu machen.

Die israelische Armee hat massiv interveniert. Premier Benjamin Netanjahu betont die Verbundenheit mit den Drusen. Steckt noch mehr dahinter?

Die Regierung Netanjahu hat, wie auch die gesamte Führung der drusischen Gemeinschaft in Israel und drusische Politiker, die aktuelle Krise sehr dramatisch gezeichnet. Es gehe um nicht weniger als die „Auslöschung des drusischen Volkes“, war die Botschaft. Tatsächlich gibt es in Israel eine starke Verbundenheit mit den Drusen, die sehr loyal zum Staat sind und zum Beispiel in der Armee dienen. Da ist aktuell auch ein Funken echter Anteilnahme dabei. Vor allem aber will Israel verhindern, dass die syrische Regierung ihre Präsenz im Süden ausweitet, wo sie derzeit noch keine Kontrolle hat. Anders kann man das massive Vorgehen der israelischen Armee nicht erklären.

Ist denn auf der anderen Seite das HTS-Regime in Damaskus überhaupt vertrauenswürdig?

Zumindest muss man feststellen, dass inzwischen unter den Minderheiten in Syrien eine große Skepsis gegenüber der Zentralregierung herrscht. Die betont zwar immer wieder, wie sehr sie die Massaker an Minderheiten verurteilt und dagegen vorgeht, aber sie tut derzeit wenig, um das zu untermauern.

… wir erinnern uns an die schweren Massaker an den Alawiten in der Küstenprovinz.

Richtig. Da schwanken die Zahlen der Opfer sehr stark, bis zu 1600 Menschen könnten getötet worden sein. Man kann zudem bis in die höchsten Ebenen der Regierung zurückverfolgen, wo der Befehl ausgegeben wurde, gegen Überreste des Assad-Regimes an der Küste vorzugehen. Auslöser dafür waren Hinterhalte gegenüber Regierungstruppen, aber dann kam es beim Eingreifen der Armee zu sehr vielen Racheakten. Der kürzliche Anschlag auf eine syrisch-orthodoxe Kirche bei Damaskus wurde vom „Islamischen Staat“ verübt und kann nicht der Regierung angelastet werden. Er unterstreicht aber die große Unsicherheit. Die Minderheiten fühlen sich nicht geschützt.

Und die Verhandlungen von Damaskus mit den Kurden?

Die kommen kaum voran. Die Kurden sind wie die Drusen nicht bereit, ihre Waffen abzugeben und sich in die Armee zu integrieren. Und nach diesen jüngsten Vorfällen wird ihre Skepsis wahrscheinlich noch wachsen.

Das heißt, der Drusenkonflikt ist nur einer von mehreren, die Syrien destabilisieren.

Richtig, aber aus Sicht von Netanjahu kommt noch etwas hinzu. All die Konflikte und Interventionen helfen ihm auch, abzulenken von den Vorwürfen gegen ihn selbst, etwa dem Korruptionsprozess. Gerade ist schon wieder ein Verhandlungstag verkürzt worden, wegen des Drusenkonfliktes, ähnliche Unterbrechungen und Ausfälle sind schon sehr oft passiert. Zudem sehen wir sehr wahrscheinlich Neuwahlen in Israel entgegen, und da ist ein Waffengang gegen die syrische Regierung sehr populär in der israelischen Bevölkerung. Denn viele misstrauen der HTS von al-Scharaa. Ein zersplittertes Syrien wäre vielen Israelis lieber als ein starker Zentralstaat.

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