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Die Nato zündelt nicht – sie sorgt vor

von Redaktion

Planspiele für russische Aggression

Russlands Propaganda ist groß, wenn es darum geht, die Eskalation herbeizuschreien. Immer wieder wird über Bomben auf Berlin, London oder gleich auf den ganzen „neonazistischen“ Westen fantasiert. Man muss das nicht wörtlich nehmen, ernst aber schon. Dass westliche Nachrichtendienste fast unisono vor einer möglichen russischen Aggression gegen ein Nato-Land warnen, ist jedenfalls weder Übereifer noch konzertierte Panikmache – es ist die traurige Essenz dessen, was man über die Absichten der kriegslüsternen Kreml-Elite weiß.

Wie sehr auch die Nato-Partner (Stand Sonntagabend darf man die USA dazuzählen) für jede Eventualität vorplanen, ließ dieser Tage der US-General Christopher Donahue wissen. Sollte Moskau etwa das Baltikum angreifen, wäre das Bündnis nicht nur zur Verteidigung fähig, sondern auch in der Lage, „in nie da gewesenem Tempo“ die russische Exklave Kaliningrad einzunehmen. Das Szenario sei durchgespielt, sagte er, man wisse auch schon, was dazu nötig sei. Das klang auf seltsame Weise beunruhigend und beruhigend zugleich.

Beunruhigend, weil niemand (Kreml-Kader ausgenommen) irre genug sein kann, sich eine Situation zu wünschen, die wohl in den Weltkrieg führen würde. Beruhigend, weil das zuletzt instabile Bündnis jenseits großspuriger Gipfel seine Handlungsfähigkeit dokumentiert. Die glaubhafte Vorbereitung des Westens auf alles Denkbare hat allein schon abschreckende Wirkung. Anders als Putin, der sein auf Angst spezialisiertes Propaganda-Personal von Medwedew bis Solowjow regelmäßig von der Leine lässt, droht der US-General nicht, sondern klärt auf, warnt, nicht aggressiv, aber überraschend deutlich und konkret.

Aus Moskauer Sicht ist das eine neue Erfahrung, wenngleich es nicht wundern kann, dass die Nato Kaliningrad auf der Rechnung hat. Putin rüstet das Gebiet seit vielen Jahren militärisch auf: Iskander-Raketen, die potenziell Berlin und Warschau bedrohen können, ließ er dort stationieren, lange bevor über US-Raketen in Deutschland auch nur nachgedacht wurde. Die Sorge, dass Kaliningrad eine Rolle bei einer nicht auszuschließenden Aggression gegen das Baltikum spielt, ist dort jedenfalls groß. Umso wichtiger, dass die Nato vorausdenkt, ohne zu zündeln. MARCUS.MAECKLER@OVB.NET

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