Ein paar Schritte von Belarus entfernt: Alexander Dobrindt (l.) und Tomasz Siemoniak inspizieren den 550 Kilometer langen, massiven polnischen Grenzzaun. © Wojtek Radwanski/AFP
München/Warschau – Die Gastgeber tun alles, damit es möglichst ungemütlich aussieht. Rechts ein endloser, baumhoher Eisenzaun, davor patrouillieren schwer bewaffnete Soldaten mit Sturmhauben, ein Panzerfahrzeug mit Maschinengewehr steht bereit, links sind zwei Lagen Stacheldraht aufgeschichtet. In der Mitte stehen zwei Innenminister in einem Rudel aus Leibwächtern. „Wir sind hier an der Stelle, wo die EU beginnt“, verkündet Tomasz Siemoniak (Polen). „Wir wollen Härte und Konsequenz an der Außengrenze“, sagt Alexander Dobrindt (Deutschland).
Harte Worte, harte Bilder, das wollen die beiden Innenminister hier von Polowce an der belarussischen Grenze senden. Es ist der Versuch, eine sehr aufgeregte Debatte zu befrieden. Eine, die nicht hier tobt, sondern an Polens Westgrenze: Im ganzen Land gärt Ärger, dass die neue deutsche Regierung in einem vor allem symbolischen Akt seit Mai massive Kontrollen an der innereuropäischen Grenze vollzieht. Polnische Rechtspopulisten machen damit Stimmung gegen die Deutschen und gegen die Warschauer Tusk-Regierung. Siemoniak sah sich gezwungen, mit Gegen-Kontrollen an der deutschen Grenze zu reagieren. Dort, im Herzen Europas, stehen sich nun Grenzer zweier befreundeter Nationen gegenüber. Das kann man sehr vorsichtig einen ungewöhnlichen Ressourceneinsatz nennen.
Die Kollegen Siemoniak und Dobrindt wollen sich nun am Montagnachmittag bei Polowce davon überzeugen, noch Freunde zu sein. Und Siemoniak will beweisen, dass Polen mit aller Staatsmacht, 11 000 Beamten und 600 Millionen Euro die Grenze zu Belarus sichere. Die Diktatur im Osten versucht seit Jahren, Flüchtlingsströme in den Westen als Waffe einzusetzen – tausendfach kurz vor der polnischen Grenze ausgesetzt, inzwischen auch über die baltischen Staaten. Siemoniak deutet auf den Metallzaun, 550 der 700 Grenzkilometer lang, und rattert Zahlen runter: 12 000 illegale Migranten aus Belarus im Jahr 2023, nur noch 5000 im Jahr 2024, heuer bisher erst 800. „Die Schlacht um die Grenze findet hier statt“, sagt er. 97 bis 98 Prozent der Migranten fange Polen ab. Versteckte Botschaft an Dobrindt: Hört halt auf mit euren Binnen-Kontrollen, es kommen doch eh kaum noch Flüchtlinge durch.
Auf deutscher Seite wurde das bezweifelt. Verdacht: Polen (wie im Süden Österreich) winkte lange Zeit Flüchtlinge mit Ziel Deutschland durch, statt sie zu registrieren und zu versorgen. Dobrindt lobt nun das, was er sieht. „Man kann hier sehen, wie wirkungsvoller Außengrenzschutz gemacht wird“, sagt der CSU-Mann. Er fordert für Polen stärkere Finanzhilfe aus der EU – für Personal, Drohnen, KI – und auch „mehr Wertschätzung“. Aber in der Sache bleibt er hart. Sein Kontrollring um Deutschland hat Bestand, solange nicht „überall in Europa“ die Außengrenze wirksam geschützt werde. Allenfalls temporäre Lockerungen verspricht er, wenn ein Stau zu lang wird.
Reicht das zur Befriedung? Wohl kaum. Die innerpolnische Debatte ist aufgebracht. In Polowce sieht sich Dobrindt sogar genötigt, über die Gerüchte zu reden, seine Bundespolizei drücke heimlich in großem Stil Asylbewerber über die Grenze nach Polen. „Bösartig“ sei das, und schlicht falsch. An der Grenze formieren sich dennoch seit Monaten radikalisierte Polen als „Bürgerwehren“, um genau solche Asyl-Manöver zu verhindern. Sie zücken Ferngläser, steuern Drohnen und haben politische Unterstützung von der nationalkonservativen Oppositionspartei PiS. Vor einem „Spiel mit Emotionen“ warnt Siemoniak.
Druck spürt auch Dobrindt. Würde er die Grenzkontrollen aussetzen, spräche die AfD sofort von einem Einknicken. Zudem warnen deutsche Sicherheitsexperten in einem vertraulichen Bericht, aus dem „Bild“ zitiert, die Migrationszahlen würden gerade an der östlichen Grenze „nahezu sicher in den nächsten Monaten“ wieder leicht steigen, auch wegen der Ausweichroute über Litauen und Lettland. Zudem wird es in Berlin noch Debatten geben, weil die neue Bundesregierung wohl bis zu 2300 Afghanen aufnehmen muss, die von der Ampel noch eine Zusage bekommen hatten.