Weg mit Paragraf 218: Das fordert die SPD und verweist dabei auf den Koalitionsvertrag mit der Union. © Ditsch/epd
München – Eigentlich wollte die schwarz-rote Koalition diese Angelegenheit nicht an die große Glocke hängen. Gerade einmal fünf Zeilen im Koalitionsvertrag widmete die neue Regierung dem Thema Schwangerschaftsabbrüche. Doch mit dem Streit um die Richterwahl wurde das Abtreibungsgesetz wieder Gegenstand hitziger politischer Debatten. Der Grund: Die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf vertritt dabei eine eher liberale Linie und hat dafür heftige Kritik geerntet.
Ihre Haltung zu Schwangerschaftsabbrüchen hat Brosius-Gersdorf zuletzt allerdings als übereinstimmend mit dem Koalitionsvertrag beschrieben. Darin stehe „genau das, was ich vorgeschlagen habe“, sagt sie im ZDF. Und auf einmal wird besonders um einen Satz darin diskutiert.
Geplant ist demnach nämlich, „die Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung über die heutigen Regelungen hinaus“ zu erweitern. Heißt das, die Regierung muss Abtreibungen legalisieren, damit sie auch von den Krankenkassen gezahlt werden können? Ja, lautet Brosius-Gersdorfs Einschätzung. Denn laut Strafrechtsparagraf 218 sind Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland rechtswidrig. In den ersten zwölf Wochen bleibt eine Abtreibung allerdings straffrei – sofern sich die Frau vorher beraten lässt. Auch für SPD-Rechtsexpertin Carmen Wegge ist es „erforderlich, den Schwangerschaftsabbruch in der Frühphase zu legalisieren, weil rechtswidrige Eingriffe nicht über die Krankenkassen finanziert werden können“.
Es ist nicht überraschend, dass sich die SPD aus diesem Satz die notwendige Legalisierung von Abtreibungen ableitet. Schließlich haben die Sozialdemokraten in ihrem Wahlprogramm angekündigt, Schwangerschaftsabbrüche zu entkriminalisieren und „zu einem Teil der medizinischen Grundversorgung“ zu machen. Bereits als Teil der Ampel-Regierung war die SPD daran beteiligt, dass der umstrittene Paragraf 219a im Strafgesetzbuch abgeschafft wurde. Er hatte es Ärzten untersagt, über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren, weil dies bereits als Werbung für eine Abtreibung gezählt hat.
In der Union interpretiert man den Satz zur Kostenübernahme anders. „Eine Veränderung bei Paragraf 218 ist nicht vereinbart“, sagt CDU-Rechtspolitikerin Elisabeth Winkelmeier-Becker. Der Münchner Bundestagsabgeordnete Stephan Pilsinger (CSU) verweist darauf, dass die Krankenkasse bereits in bestimmten Fällen die Kosten für eine Abtreibung übernimmt, etwa bei sozial bedürftigen Frauen oder aus medizinischen oder kriminologischen Gründen. „Eine ungewollte Schwangerschaft ist für mich persönlich keine Krankheit“, sagt Pilsinger unserer Zeitung. Aufgabe der Kasse sei aber, die Kosten bei Krankheiten zu übernehmen. „Wenn wir jetzt anfangen, die Kosten der vermeintlichen ,Krankheit Schwangerschaft‘ auch für Besserverdienende zu übernehmen, dann müssten die Kassen auch Verhütungsmittel wie Kondome, die Pille danach oder die Spirale bezahlen – für die Bürgergeldempfängerin genauso wie für die Top-Managerin“, sagt der Vize-Vorsitzende des Ausschusses für Gesundheit. Eine Ausweitung sei auch vor dem Hintergrund der angespannten Finanzsituation der Kassen „mindestens fragwürdig“.
Die gesetzlichen Krankenkassen (GKV) können zu einer möglichen Ausgestaltung nichts sagen, da noch völlig unklar ist, wie der Plan im Koalitionsvertrag umgesetzt werden soll. Der Kanzler will jedenfalls noch kein Machtwort zu dem hitzig diskutierten Satz sprechen. Als er auf der Sommerpressekonferenz darauf angesprochen wurde, erklärte Friedrich Merz lediglich, er könne die Rechtsfolgen „nicht abschließend beurteilen“. Die Verabredungen aus dem Koalitionsvertrag sollten aber ohne Abstriche kommen.LEONIE HUDELMAIER