Geflüchtete Palästinenser im Camp Nuseirat: „Der Hass ist auf beiden Seiten groß.“ © Baba/AFP
München – Mehrere arabische Staaten wie Ägypten, Saudi-Arabien, Jordanien und Katar haben bei einer UN-Konferenz in New York ein Ende der Hamas-Herrschaft im Gazastreifen gefordert. In einem siebenseitigen Dokument verlangte eine Gruppe von insgesamt 17 Ländern zudem konkrete Schritte für ein Ende des Nahost-Konflikts. Wir sprechen darüber mit Prof. Stephan Stetter, er ist Nahost-Experte an der Bundeswehr-Universität in Neubiberg.
Wie stark ist die Hamas noch?
Spätestens seit Herbst letzten Jahres ist die Hamas de facto militärisch besiegt. Aber sie ist politisch nicht völlig ausgeschaltet und ist operativ in der Lage, zu agieren, weil es bisher keinen ernst zu nehmenden politischen Horizont für Gaza und die Region gibt. Dem Vernehmen nach gibt es immer noch rund 20 000 aktive Kämpfer – und in der derzeitigen Lage gelingt es der Hamas weiter, neue Kämpfer zu rekrutieren. Ganz genaue Zahlen sind in der jetzigen Situation aber nicht verfügbar. Sicher ist: Politisch und vor allem militärisch ist die Hamas sehr geschwächt.
Israel verhandelt indirekt noch mit der Hamas. Ist das wegen der israelischen Geiseln alternativlos?
Geiseln kamen bisher nur frei durch Verhandlungen. Militärisch wurde keine einzige Geisel befreit. Die zentrale Schwäche der israelischen Strategie ist, dass die Regierung Netanjahu überhaupt keine politische Perspektive für die Palästinenser hat. Da versucht die neue französisch-saudische Initiative ein Gegenmodell zu schaffen, indem es einen palästinensischen Wiederaufbau im Gazastreifen fordert und eine Annexion durch Israel ausschließt. Die saudisch-französische Initiative sagt zudem glasklar: Die Hamas kann keinen Platz haben in einer palästinensisch geführten Nachkriegsordnung. Zudem müsse die Hamas entwaffnet werden. Das sind wichtige und notwendige Bedingungen für eine Nachkriegsordnung, die Sicherheit für die Palästinenser und Israel bringt.
Die Bundesregierung beteiligt sich nicht an dieser Initiative…
Deutschland war ja bei der Konferenz in New York vertreten. Deutschland sollte sich aber Gedanken machen, wie es das richtige Ziel, dass Israels Sicherheit deutsche Staatsräson ist, in Zukunft besser mit einer wirklichen Perspektive für Nahost verbindet und auch multilateral mehr Handlungsfähigkeit hat: Diesem Ziel dient vor allem eine Zwei-Staaten-Lösung! Deutschland sollte sich daher der französischen und britischen Initiative zur Anerkennung Palästinas anschließen, was kein Allheilmittel ist, aber ein wichtiger Schritt. Aber es spricht auch nichts dagegen, dass die internationalen Akteure hier eine gewisse Arbeitsteilung haben – und Deutschland die Verhandlungskanäle zu Israel nutzt, um einen Weg aus der derzeitigen Sackgasse zu finden.
Israel akzeptiert die Palästinensische Autonomiebehörde im Westjordanland nicht als künftige Macht im Gazastreifen. Ist das klug?
Nein, es spiegelt aber wider, wie die Machtverhältnisse in der israelischen Regierung sind, in der es ja ganz andere politische Ziele gibt: Nämlich die Annexion des Westjordanlandes und des Gazastreifens, weil man es als jüdisches Land betrachtet, und die Vertreibung von Palästinensern. Das ist der Kitt, der diese Koalition zusammenhält, und da hat ein Friedensprozess mit den Palästinensern keinen Platz.
Netanjahu droht der Hamas immer wieder mit Vernichtung. Müsste es nicht eine Exit-Strategie für die Hamas-Funktionäre geben, damit sie zur Kapitulation bereit wären?
Für einige Hamas-Führer könnte es Garantien für ihre persönliche Sicherheit im Exil geben, für andere, die irgendwie mit der Hamas zu tun hatten, muss es Möglichkeiten der gesellschaftlichen Wiedereingliederung geben. Im Irak haben wir gesehen, dass es wichtig ist, dass Waffen nicht in den Händen von nicht-staatlichen Akteuren bleiben dürfen. Das Chaos im Irak lag auch daran, dass Funktionäre und Militärs der Baath-Partei nicht in die Gesellschaft integriert wurden.
Israel hat palästinensische Clans bewaffnet, um gegen die Hamas zu kämpfen. Eine gute Strategie?
Das ist keine politische Strategie, sondern der Versuch, Chaos zu stiften. Netanjahu hat in den letzten 15 Jahren die Hamas immer genutzt, um die Palästinenser zu spalten. Diese Strategie ist gescheitert. Wenn man das nun mit Clangruppen fortsetzen will, wird das nur zu Instabilität führen.
Der Terror vom 7. Oktober und der Gaza-Krieg haben Hass auf beiden Seiten geschürt. Lässt sich das je wieder kitten?
Da braucht es politische Führung! Deswegen sehe ich es als wichtig an, dass in der Erklärung bei der Zwei-Staaten-Konferenz in New York auch arabische Staaten ausdrücklich den 7. Oktober als antisemitischen Terror benannt haben. Der Hass, aber auch die Angst auf beiden Seiten ist groß, deshalb wird es ein langwieriger Prozess sein, um die Verheerungen der letzten zwei Jahre zu heilen.