Schwierige Mission: Außenminister Johann Wadephul (CDU) kommt auf dem Flughafen von Tel Aviv an. Sein Ton gegenüber Israel ist diesmal ungewöhnlich scharf. © Soeren Stache/dpa
München – Er ist noch nicht ganz drei Monate im Amt, und doch ist es bereits seine dritte Reise in die Region. Kaum war Johann Wadephul Außenminister, brach er gleich nach Israel auf: Jeder sollte sehen, wie sich die neue Bundesregierung im Nahen Osten positioniert. „Wir stehen klar an der Seite Israels“, sagte er damals. Wenige Wochen später war der CDU-Politiker gerade in Kairo, als er von dem israelischen Angriff auf den Iran völlig überrascht wurde und seine Weiterreise umplanen musste. Doch die Bundesregierung werde Israel weiterhin „solidarisch begleiten“, versicherte er sofort.
Nun ist der Ton ein anderer. Nach der Landung ruft Wadephul am Donnerstag in Jerusalem Benjamin Netanjahus Regierung zur Absage an einen Kurs der „Vertreibung“ und „Annexion“ auf. „Wir brauchen Klarheit auch von Israel, dass keine Politik der Vertreibung und keine Politik der aktiven Annexion betrieben wird“, sagt er. „Die humanitäre Katastrophe in Gaza übersteigt jede Vorstellung“, beklagt er die Lage im Palästinensergebiet.
Wadephuls Reise ist fernab üblicher Händchenschüttel-Diplomatie. Aus der Bundesregierung sind höchst alarmierte Töne zu hören: Die Stimmung kippt beim engsten Israel-Vertrauten. „Ich versteh’s nicht mehr“, sagt ein führender Unions-Politiker, Israels Regierung mache fatale Fehler dabei, die Not in Gaza so eskalieren zu lassen. In einer Kabinettssitzung letzte Woche kam es bereits zu einer sehr energischen Debatte, wird in Berlin erzählt. Zwei CSU-Minister waren die letzten, die für Israel Partei ergriffen, an die noch immer verschleppten 50 Geiseln erinnerten und daran, dass die Hamas die letzten Vermittlungsversuche platzen ließ: Innenminister Alexander Dobrindt, der Ende Juni selbst bei Netanjahu war, und Florian Hahn, der in der Sitzung den Außenminister vertrat.
Der Rest der Koalition: wackelig. Kanzler Friedrich Merz scheine die Geduld zu verlieren, heißt es. Sein Auftrag zur deutschen Gaza-Luftbrücke solle als scharfe Warnung an Netanjahu verstanden werden. Offenbar erwägt inzwischen sogar er ein Aussetzen des Assoziierungsabkommens zwischen der EU und Israel. Die SPD fordert offen „echten politischen Druck auf die israelische Regierung“. So sagt es Siemtje Möller, die frühere Verteidigungs-Staatssekretärin, und sie verlangt einen Lieferstopp für Waffen, die in Gaza eingesetzt werden. Bis von Ministern offen Rufe nach einer Palästina-Anerkennung kommen, ist wohl nur eine Frage der Zeit. Im September tagt wieder die UN-Generalversammlung in New York.
Auch im Inland steigt der Druck. Gestern veröffentlichten mehr als 200 Schauspieler, Musiker und Comedians einen offenen Brief an den Kanzler. „Lassen Sie Gaza nicht sterben, Herr Merz“, lautet der Titel des Schreibens. „Sie haben in den letzten Tagen Stellung bezogen und die israelische Regierung kritisiert“, heißt es darin. „Wir würdigen das, doch eines ist klar: Worte alleine retten keine Leben.“
Zu den prominenten Unterzeichnern gehören unter anderem die Moderatoren Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf, die Schauspieler Benno Führmann, Daniel Brühl, Jessica Schwarz und Jürgen Vogel sowie die Musikerin Shirin David. Sie fordern unter anderem einen Stopp aller deutschen Waffenexporte an Israel. „Herr Merz – Sie sind einer der Wenigen, der Israel dazu bewegen kann, doch noch den Kurs zu ändern.“
Bislang ist er aber auch einer der Wenigen, die sich der internationalen Kritik an Israels Kriegsführung noch nicht angeschlossen haben. Zuletzt hatten Großbritannien und Frankreich angekündigt, Palästina als eigenen Staat anzuerkennen – am Donnerstag zog mit Kanada ein weiterer G7-Staat nach. Laut dem Magazin „Politico“ äußern sich EU-Diplomaten in Brüssel zunehmend frustriert über Berlins Zurückhaltung. Darunter knicke mittlerweile auch Italien ein, das zusammen mit Deutschland den Plan der EU-Kommission blockiert hatte, Israel aus dem Forschungsprogramm „Horizon Europe“ auszuschließen. Doch auch Rom überdenke inzwischen seine Haltung, heißt es hinter verschlossenen Türen.