Rente: Reform oder Kollaps

von Redaktion

München – „Alterspyramide“ heißt das Diagramm, das die Bevölkerungsentwicklung eines Landes darstellt. In Deutschland ist dieser Begriff jedoch schon lange nicht mehr zutreffend. Statt einer spitzen Pyramide ergibt sich hierzulande eine unförmige Urne – das makabre Symbol einer schrumpfenden Bevölkerung. Dadurch gerät das deutsche Rentensystem zunehmend unter Druck: „Die deutsche Renten-Titanic steuert seit 50 Jahren auf den Eisberg zu“, fasste eine ZDF-Doku die Problematik zusammen. Eine Gruppe von Ökonomen appelliert nun an die Politik, das Steuer noch rechtzeitig herumzureißen.

Viel Zeit bleibt nicht: Immer mehr der geburtenstarken Babyboomer-Jahrgänge erreichen das Rentenalter. Prognosen zufolge kommen 2035 nur noch zwei Beitragszahler auf einen Rentner. Bekannt ist diese demografische Verschiebung mindestens seit den 80er-Jahren – eine zukunftsfähige Lösung gibt es dennoch nicht. In einem Gutachten stellen Wirtschaftswissenschaftler um den Direktor des Ifo-Instituts in Dresden, Marcel Thum, der deutschen Rentenpolitik deshalb ein desaströses Zeugnis aus. Eine umfassende Reform des Rentensystems sei unausweichlich, Deutschland stehe vor einer dramatischen Herausforderung.

Um die gesetzliche Rentenversicherung langfristig zu stabilisieren, fordern die Experten die Abschaffung der Rente mit 63. Außerdem müsse sich der Rentenanstieg stärker am demografischen Verhältnis von Rentnern zu Beitragszahlern orientieren und das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung gekoppelt werden. Die Ökonomen sprachen sich ferner dafür aus, die Bestandsrenten mit der Inflation zu erhöhen, nicht mit den Löhnen.

Ohne ein derart umfangreiches Maßnahmenpaket könnten die Kosten für die gesetzliche Rentenversicherung bis 2050 auf mehr als elf Prozent des Sozialproduktes ansteigen, so die Autoren. Dadurch würde der Bund für die Finanzierung des Rentensystems 2050 162 Milliarden Euro mehr benötigen als noch 2019. Im kürzlich vorgestellten Bundeshaushalt 2026 ist der Zuschuss für die Rentenversicherung bereits jetzt der größte Einzelposten. Mit rund 127,8 Milliarden Euro macht er knapp ein Viertel der Gesamtausgaben von 520,5 Milliarden Euro aus.

Steigende Kosten für den Bund hätten zwangsläufig Auswirkungen auf den Renten-Beitragssatz für Arbeitnehmer. Dieser würde sich nach Einschätzung der Ökonomen von derzeit 18,6 Prozent bis 2050 auf 22 Prozent erhöhen. Durch die vorgeschlagenen Maßnahmen könnte der Anstieg bei 19,5 Prozent gedämpft werden.

Auch CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann wagte einen Vorstoß beim Thema Altersversorgung: Nicht nur die Rente, sondern auch die Beamtenversorgung müsse reformiert werden, sagte er laut „Bild“. „Ich möchte nur eins: Dass wir nur noch dort verbeamten, wo es wirklich hoheitliche Aufgaben gibt, bei Polizisten, bei Richtern, bei Staatsanwälten, bei Finanzbeamten, bei Zollbeamten – aber dann ist irgendwann gut.“

Beamtenpensionen sind für den Bund eine große finanzielle Belastung. Fast 903 Milliarden Euro sollen sie in den kommenden Jahrzehnten laut Bundesfinanzministerium kosten. Beamtenbund-Chef Volker Geyer glaubt jedoch nicht, dass der Staat durch „Entbeamtungen“ Geld sparen kann: „Im Gegenteil, die Bruttobesoldung müsste kurzfristig erhöht, Arbeitgeberanteile für die Rentenversicherung aufgebracht und Mittel für die Zusatzversorgung der dann angestellten Lehrerinnen und Lehrer bereitgestellt werden.“

Ein tragfähiges Konzept in der Rentenpolitik zu finden, ist eines der wichtigsten Vorhaben der schwarz-roten Regierung. Im Koalitionsvertrag garantieren Union und SPD ein Rentenniveau von 48 Prozent, wollen dabei aber gleichzeitig die Rente mit 63 erhalten. Drastische Maßnahmen, wie die ifo-Experten sie für nötig halten, lehnte die Koalition bislang ab. Die Forderung von Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) nach einer längeren Lebensarbeitszeit löste zuletzt sogar eine Kontroverse aus.

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