Wann sind Herkunftsländer sicher?

von Redaktion

Migranten bei der Ankunft im Asylzentrum im albanischen Shengjin. © picture alliance

München – Giorgia Meloni reagierte schnell – und hörbar erbost. Wieder mische sich die Justiz in politische Angelegenheiten ein, schimpfte Italiens rechte Ministerpräsidentin am Freitag. Der Handlungsspielraum ihrer und anderer Regierungen im Ringen um schnellere Asylverfahren schrumpfe nun weiter. „Dies ist ein Schritt, der alle beunruhigen sollte.“

Die harsche Reaktion gilt dem Europäischen Gerichtshof – und sie überrascht nicht. Denn die Richter erschweren mit ihrem jüngsten Urteil die Umsetzung eines Prestige-Projekts der Meloni-Regierung. Konkret geht es um das Albanien-Modell, mit dem Rom Asylverfahren für männliche Migranten aus sicheren Herkunftsstaaten beschleunigt im Ausland durchführen will. Die Richter stellen nun klar, unter welchen Bedingungen Länder überhaupt als sicher eingestuft werden dürfen. Wegweisend, nicht nur für Rom.

Grundsätzlich betont das Luxemburger Gericht, dass jeder Mitgliedstaat selbst bestimmen dürfe, welche Herkunftsländer er für sicher hält. Dabei müssten die Regierungen aber erstens die Quellen für ihre Einschätzung offenlegen, damit diese gerichtlich überprüfbar ist. Zweitens dürfe ein anderes Land nur dann als sicher eingestuft werden, wenn es seiner gesamten Bevölkerung ausreichenden Schutz biete, etwa auch sexuellen Minderheiten. Letzteres soll zumindest bis Juni 2026 gelten: Die EU-Asylreform GEAS, die dann in Kraft tritt, erlaubt es nämlich, Staaten auch unter Ausnahme einzelner Gruppen und Regionen für sicher zu erklären.

Im konkreten Fall klagten zwei Männer aus Bangladesch, die zu den wenigen Migranten gehörten, die bisher in das Zentrum in Albanien gebracht wurden. Die Regierung in Rom hatte ihre Asylanträge mit der Begründung abgelehnt, dass Bangladesch in Italien als sicher gilt. Die Männer klagten zunächst in Italien, die dortige Justiz verwies den Fall dann aber nach Luxemburg. Dort heißt es nun, Italien habe die Quellen für seine Einschätzung zu Bangladesch nicht offengelegt. Damit werde den Klägern und der Justiz „die Möglichkeit genommen, die Rechtmäßigkeit einer solchen Sicherheitsvermutung“ zu kontrollieren.

Das ist nicht nur für Italiens Albanien-Modell ein Problem, das wegen der rechtlichen Unsicherheit seit Monaten auf Eis liegt. Das Urteil setzt auch mit Blick auf die Ausweitung sicherer Herkunftsländer klare Grenzen. Die EU-Kommission hatte erst im Frühjahr eine neue Liste vorgelegt, die für alle Mitglieder gelten und die nationalen Listen ergänzen soll. Neben Bangladesch kommen darin etwa auch Ägypten, Indien, Marokko und Tunesien vor. Das EU-Parlament und die Mitgliedstaaten müssen der Liste noch zustimmen.

In Berlin gibt man sich angesichts des Urteils allerdings relativ entspannt. Die Informationsquellen für die Einstufung eines Landes würden auch jetzt schon offengelegt, teilte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums auf Anfrage mit. Außerdem stufe Deutschland Staaten grundsätzlich nur als sicher ein, wenn die Bevölkerung dort sicher sei. Soll heißen: Die Regierung erfüllt die Anforderungen des Gerichts ohnehin schon. Ausdrückliches Ziel ist es allerdings auch, weitere Länder wie Tunesien oder Marokko als sicher einzustufen. Das soll künftig sogar per Verordnung möglich sein, also an Bundestag und -rat vorbei. Ob das Urteil daran rüttelt, ist unklar. Die Grünen-Politikerin Feliz Polat forderte die Merz-Regierung auf, die Ausweitung der Liste zu stoppen.

Für Melonis Albanien-Idee, die anderen EU-Staaten als Modell gilt, ist die Luxemburger Entscheidung ein weiterer Rückschlag – tot ist sie aber nicht. Noch seien wichtige Fragen offen, sagte die Berliner Jura-Professorin Pauline Endres de Oliveira der dpa. Etwa die, ob die Unterbringung von Asylsuchenden in solchen Zentren eine rechtswidrige Inhaftierung sei. Melonis Ärger könnte sich noch steigern.MIT DPA

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