Die FDP im Überlebensmodus

von Redaktion

Beginn einer neuen Ära? FDP-Chef Christian Dürr mit dem neuen Bundesvorstand. © imago

München – Es ist nicht nur ein kleines Glitzern in den Augen, es ist ein deutliches Schlucken. Christian Lindner kämpft mit den Tränen. Eigentlich ist ja das Motto des Bundesparteitags: „Es fängt mit dir an.“ Dieser Satz prangt auch am Pult, an dem Lindner spricht. Doch für ihn, den einstigen FDP-Chef, endet es erst einmal hier. Nach der krachenden Niederlage bei der letzten Bundestagswahl ist es sein letzter Parteitag, sein offizieller Abtritt. Für die Liberalen das Ende einer Ära nach fast 13 Jahren Lindner.

Das war Mitte Mai. Seither ist es nicht nur um Lindner ruhig geworden, sondern um die ganze FDP. Als frisch gekürter Vorsitzender kämpft jetzt Christian Dürr gegen die Bedeutungslosigkeit der Partei an. Und vor allem hat er sich auf die Suche nach ihrem Markenkern begeben. Die große Frage: Was verkörpert die FDP überhaupt noch?

Dafür hat die Partei eine Fehleranalyse eingeleitet, Handlungsanweisungen abgeleitet. Und dabei blickt sie nicht nur auf die vergangene Wahl zurück, sondern gleich auf die letzten zehn Jahre. Umfragetrends, Wählerwanderungen und eine aktuelle Umfrage flossen in die Beurteilung ein – zusammengefasst in einer 47-seitigen Präsentation, die unserer Zeitung vorliegt.

Es ist nicht nur eine bloße Selbstreflexion, sondern auch eine Art Abrechnung mit der Lindner-FDP. Und die fällt nicht besonders behutsam aus. „Unsere Politiker wurden als abgehoben, entrückt, unnahbar und bürgerfern wahrgenommen“, wird ein Ergebnis einer Fokusgruppen-Befragung zusammengefasst. Der FDP fehle es an einem Alleinstellungsmerkmal, der notwendigen Differenzierung zur Union. Und auch die Vergrößerung einer Kernwählerschaft sei nicht gelungen. Wegen der geradezu ekstatischen Wahlergebnisse 2017 und 2021 wurde der Aufbau von wirklichen Stammwählern kurzerhand auf die lange Bank geschoben. Denn wie die interne Auswertung zeigt, wurde die FDP zwar beide Male von rund fünf Millionen Menschen gewählt – allerdings waren nur zwei Millionen davon dieselben.

Und die FDP blickt in dieser Zeit auf zahlreiche Aufs und Abs ihrer Parteigeschichte. Gerade nach den geplatzten Jamaika-Verhandlungen hätten sich viele neue FDP-Wähler abgewandt – die Analyse spricht von der „Jamaika-Enttäuschung“. Auch die „Thüringen-Situation“, als sich der FDP-Kandidat Thomas Kemmerich mit AfD-Stimmen kurzzeitig zum Ministerpräsidenten wählen lässt, schadete demnach der Wahrnehmung der Partei.

Während der Corona-Pandemie konnten die Freien Demokraten dann vor allem mit dem Thema Freiheitsrechte punkten, doch die Arbeit in der anschließenden Ampel-Koalition sorgte dann eher für Ernüchterung. Die FDP konnte währenddessen nur auf Verhandlungserfolge stolz sein, „die den Status quo festschreiben“. Sprich: „keine Steuererhöhungen, kein Tempolimit, keine Aufweichung der Schuldenbremse“. Zu wenig für das „Regierungsprogramm der Reformpartei FDP“, heißt es im Fazit. Auch das Ampel-Ende wird den Liberalen übel genommen. Mit „Schmierentheater“ und „Seifenoper“, beschreibt eine Stimme den Zusammenbruch.

Künftig will die FDP weg von der Spitzenzentrierung, sich breiter und offen aufstellen. Vor allem aber will sie, dass ihre Politiker mehr zuhören, weniger senden.

Dafür hat gestern eine Befragung der 70 000 Mitglieder begonnen – wovon ein neues Grundsatzprogramm abgeleitet werden soll. Abgefragt werden dabei ganz allgemeine Themen – es geht um die eigene Hoffnung, um Herausforderungen in Alltag und Gesellschaft. Und um das Leitmotiv der Liberalen: Freiheit. Die Menschen müssten wieder das Gefühl haben, „dass Politik sie ernst nimmt und konkrete Lösungen für ihre alltäglichen Herausforderungen findet“, erklärt die neue Generalsekretärin Nicole Büttner.

Die Befragung soll deswegen nicht nur auf die eigenen Mitglieder beschränkt werden, sondern auch auf politisch Interessierte ausgeweitet werden. Auch, um neue Stammwähler anzuwerben oder zurückzugewinnen. Denn in der letzten Sonntagsumfrage kommt die FDP nur noch auf drei Prozent der Stimmen – 1,3 Prozent weniger als noch bei der Bundestagswahl.

Artikel 1 von 11