Abgang mit Abrechnung

von Redaktion

Bitterkeit bleibt: Beinahe-Verfassungsrichterin Frauke Brosius-Gersdorf. © Britta Pedersen/dpa

Berlin – Der Knall kommt nicht aus heiterem Himmel. Über Wochen hatte sich das Koalitions-Hickhack um SPD-Richterkandidatin Frauke Brosius-Gersdorf gezogen. Am Donnerstag ist es schließlich die Juristin selbst, die dem ein Ende setzt. Sie stehe „für die Wahl als Richterin des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr zur Verfügung“, schreibt Brosius-Gersdorf in einer Erklärung. Denn die Unions-Fraktion habe ihr „in den letzten Wochen und Tagen sehr deutlich signalisiert, dass meine Wahl ausgeschlossen ist“.

Die Vorgeschichte reicht einen Monat zurück. Die Besetzung von drei Richterstellen am Bundesverfassungsgericht war am 11. Juli im Bundestag gescheitert, weil die Unionsfraktion ihre Zustimmung zur Wahl von Brosius-Gersdorf verweigerte. Die Abstimmungen wurden daraufhin abgesetzt.

Die Union begründete ihre Kritik unter anderem mit der Haltung der Juristin zu den Themen Abtreibung und Kopftuchverbot. Die SPD kochte, und wollte nicht nachgeben. Ein harter Koalitionsstreit bahnte sich an, für den die Rechtswissenschaftlerin nicht mehr der Grund sein wollte, weil die „Auswirkungen auf die Demokratie nicht absehbar“ seien. Viele hätten sie zum Durchhalten aufgefordert, heißt es in der Erklärung. „Durchhalten macht aber nur Sinn, wenn es eine reelle Wahlchance gibt, die leider nicht mehr existiert.“ Der CDU/CSU-Fraktion sei es „nicht gelungen, sich mit meinen Themen und Thesen inhaltlich auseinanderzusetzen. Eine Einladung in eine Fraktionssitzung hat sie bis zuletzt nicht ausgesprochen“, so die Juristin.

Brosius-Gersdorf kritisiert auch die Berichterstattung. Einzelne Journalisten – gemeint ist vor allem die „FAZ“ – seien „Speerspitze eines ehrabschneidenden Journalismus“ gewesen. „So wurde im Blatt das Narrativ einer ‚ultralinken‘ ‚Aktivistin‘ geprägt, obwohl die Verantwortlichen wissen mussten, dass hiermit ein wirklichkeitsfremdes Zerrbild gezeichnet wird.“ Zudem beklagt sie „in sozialen Netzwerken organisierte und zum Teil KI-generierte Desinformations- und Diffamierungskampagnen“.

Einer, der schon vor der geplatzten Wahl öffentlich „Bauchweh“ mit der Personalie anmeldete, ist Klaus Holetschek, Chef der CSU-Fraktion im Landtag. Ihm ging es – wie vielen anderen Konservativen in der Union – um Sätze, die Brosius-Gersdorf mit Bezug auf Abtreibungen verfasst hat. Auf Nachfrage unserer Zeitung sagt Holetschek am Donnerstag, er habe „Respekt vor der Entscheidung“ der Juristin. Gleichzeitig bezeichnet er es als „vermessen“, dass Brosius-Gersdorf nun das Bild zeichne, als seien die Abgeordneten, die nicht für sie stimmen wollten, Opfer einer angeblichen Kampagne geworden.

Eine Interpretation, die die verhinderte Verfassungsrichterin allerdings nicht alleine vertritt. Es mache ihr große Sorgen, „dass rechte Netzwerke es wirklich geschafft haben, eine Kampagne gegen Frauke Brosius-Gersdorf zu führen“, sagt SPD-Co-Chefin Bärbel Bas dem „Spiegel“. SPD-Fraktionschef Matthias Miersch äußert sich ähnlich.

Überhaupt ist der Ärger in der SPD groß. „Danke an die Kollegen der Union“, schreibt Ex-Minister Karl Lauterbach ironisch-sarkastisch auf X. Und schiebt die angedeutete Drohung nach: „Das wird man sich gut merken können…“ SPD-Vizekanzler Lars Klingbeil wird direkter. „Diejenigen, die am Ende nicht zu ihrem Wort innerhalb der Koalition gestanden haben, müssen dringend aufarbeiten, was da passiert ist. So ein Vorfall darf sich nicht wiederholen“, ermahnt er die Union.

Wie geht es weiter? Der Rückzug mag die Blockade um die Richterwahl lösen, zugleich stellt er die Koalition vor ein neues (altes) Problem: im Bundestag die nötige Zweidrittelmehrheit zu finden. Die Grünen wollen nun dafür sorgen, dass zumindest die anderen beiden Kandidaten, der von der Union aufgestellte Bundesarbeitsrichter Günter Spinner und die von der SPD nominierte Staatsrechtlerin Ann-Katrin Kaufhold Mehrheiten im Bundestag finden – und zwar ohne die AfD. Die Linke fordert ebenfalls keinen Austausch der beiden anderen Kandidaten – verlangt aber, dass sich die Koalition auf gemeinsame Kandidaten einigt, und Gespräche darüber.MIT DPA/AFP

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