Europas Angst vor dem Alaska-Deal

von Redaktion

„Keine Eingung ohne uns“: Die Staats- und Regierungschefs Keir Starmer (Großbritannien, v.l.), Wolodymyr Selenskyj (Ukraine), Emmanuel Macron (Frankreichs), Friedrich Merz und Donald Tusk (Polen). © Kay Nietfeld/dpa

Putin bleibt bei seinen Maximalforderungen: Die Ukraine soll die Krim und die Regionen Donezk und Luhansk abtreten. Im Gegenzug würde Russland seine Offensive in den Regionen Cherson und Saporischschja stoppen. © Grafik: dpa

Washington/Moskau/Kiew – US-Präsident Donald Trump und Kremlchef Wladimir Putin wollen sich am Freitag im US-Bundesstaat Alaska erstmals persönlich zu Verhandlungen über den Krieg in der Ukraine treffen. Vorab sorgt für Kritik, dass die Ukraine, um die es vor allem geht, selbst nicht mit am Verhandlungstisch sitzen soll – die USA halten jedoch offen, ob Wolodymyr Selenskyj nicht doch noch eingeladen wird.

Worum geht es?

Trump stellt den Gipfel als Versuch dar, einem Ende der Kämpfe näherzukommen. Moskau forderte zuletzt für eine friedliche Lösung des Konflikts unter anderem einen Verzicht der Ukraine auf einen Nato-Beitritt sowie die Abtretung der annektierten Gebiete. Kurz vor Bekanntgabe seiner Zusammenkunft mit Putin brachte Trump die Möglichkeit eines „Gebietstauschs“ zwischen der Ukraine und Russland „zum Wohl beider Seiten“ ins Spiel. Laut Berichten des „Wall Street Journal“ und der „New York Times“ soll Putin bei einem Treffen mit dem US-Unterhändler Steve Witkoff am Mittwoch in Moskau eine Einstellung der Kämpfe angeboten haben – unter der Bedingung, dass Russland unter anderem die Kontrolle über die gesamte ostukrainische Donbass-Region erhält. Das würde die Preisgabe mehrerer Tausend Quadratkilometer Fläche und strategisch wichtiger Städte durch die ukrainische Armee bedeuten.

Unklar bleibt den Berichten zufolge, welche Zugeständnisse der Kreml im Gegenzug machen würde. Laut „New York Times“ gehen europäische Diplomaten davon aus, dass Putin einer Waffenruhe zustimmen würde, bei der die aktuellen Frontlinien unter anderem in den südukrainischen Regionen Cherson und Saporischschja eingefroren werden. Befürchtet wird indes, dass er am Ende doch eine vollständige Abtretung dieser – und womöglich noch weiterer – Gebiete erzwingen will.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj lehnt den Verzicht auf die von Russland schon 2014 annektierte Schwarzmeer-Halbinsel Krim sowie auf die teils von Moskau kontrollierten Gebiete Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson bisher aber kategorisch ab – und könnte darüber auch nicht allein entscheiden. Eine Abtretung würde eine Verfassungsänderung erfordern und schwere innenpolitische Verwerfungen auslösen.

Was sagt Europa?

Internationale Grenzen dürften nicht gewaltsam verändert werden, hieß es vor dem Gipfel auch in einer Erklärung von Deutschland, Frankreich, Italien, Polen, Großbritannien, Finnland und der EU-Kommission. Sinnvolle Verhandlungen seien nur „im Rahmen eines Waffenstillstands oder einer Verringerung der Feindseligkeiten“ möglich, bekräftigten die Europäer. Der derzeitige Frontverlauf könne lediglich „Ausgangspunkt für Verhandlungen sein“. Außerdem brauche die Ukraine robuste Sicherheitsgarantien.

Wo bleibt Selenskyj?

In Kiew betont Präsident Selenskyj, dass es einen fairen Frieden nur mit Beteiligung der Ukraine an den Verhandlungen geben könne. Aber Putin lehnt Selenskyjs Teilnahme am Gipfel ab – zum jetzigen Zeitpunkt. Der US-Nato-Botschafter schließt eine Einladung an den ukrainischen Präsidenten zum amerikanisch-russischen Spitzentreffen in Alaska dagegen nicht aus. „Ich halte es durchaus für möglich“, sagte Matthew Whitaker dem Sender CNN. Die Entscheidung werde vom US-Präsidenten getroffen. „Wenn er der Meinung ist, dass dies der beste Zeitpunkt ist, um Selenskyj einzuladen, dann wird er das tun“, erklärte Whitaker. Bislang sei dazu noch keine endgültige Entscheidung gefallen. Im Kreml in Moskau heißt es, das Hauptaugenmerk liege jetzt auf den bilateralen russisch-amerikanischen Verhandlungen. Dagegen warnen Kiew und die Europäer, es dürfe bei dem Gipfel keine Geschenke an Russland geben.

Was sagt Merz?

Bundeskanzler Friedrich Merz pocht darauf, dass der ukrainische Präsident in das Spitzengespräch zum Ukraine-Krieg eingebunden wird. Der CDU-Politiker kündigte in den ARD-„Tagesthemen“ an, dass er noch am Sonntag mit Trump telefonieren wolle, um über das für Freitag geplante Gipfeltreffen in Alaska zu sprechen. „Wir bereiten uns intensiv auf europäischer Ebene zusammen mit der amerikanischen Regierung auf dieses Treffen vor“, sagte Merz. Man gehe davon aus, dass Selenskyj beteiligt werde. „Wir können jedenfalls nicht akzeptieren, dass über die Köpfe der Europäer, über die Köpfe der Ukrainer hinweg über Territorialfragen zwischen Russland und Amerika gesprochen oder gar entschieden wird. Ich gehe davon aus, dass die amerikanische Regierung das genauso sieht.“

Warum Alaska?

Trump ist Hausherr, Putin kommt als Gast. Für Trump wird die Anreise fast so lange dauern wie für Putin: Alaska ist der nördlichste US-Bundesstaat. Er liegt gar nicht so weit entfernt von Russland – an der engsten Stelle sind es nur wenige Kilometer. Der genaue Ort des Treffens und die Zeit der Begegnung sind noch unklar. Alaska liegt aber auch im Sinne Putins weit weg von Europa, um zu zeigen, dass die Europäer außen vor sind. Und aus Sicherheitsgründen ist es ideal für den Kremlchef, weil keine Drittstaaten beteiligt sind. Zudem muss er dort den Haftbefehl des internationalen Strafgerichtshofs nicht fürchten, weil die USA wie Russland die Instanz nicht anerkennen. Alaska zählte bis Mitte des 19. Jahrhunderts zum heutigen Russland, bis die Vereinigten Staaten dem damaligen Kaiserreich das Gebiet abkauften.

Artikel 1 von 11