Der erste Zollschock kam ausgerechnet am Schweizer Nationalfeiertag, dem 1. August. Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter muss nun nachverhandeln. © GEORGIOS KEFALAS/Keystone
München/Bern – Vor einer Woche erschien die Titelseite der großen Schweizer Boulevardzeitung „Blick“ pechschwarz. Nur die Zahl „39%“ prangte darauf, dazu der Text: „Ein schwarzer Tag für unser Land“. Es war nicht übertrieben. Der Schock-Titel lässt erahnen, wie schwer die kleine Schweiz gebeutelt wird von dieser bitteren Zahl: Mit 39 Prozent Strafzoll belegt US-Präsident Donald Trump das Land, das damit überhaupt nicht gerechnet hat und auf Exporte in die USA angewiesen ist. Gesprächsbitten lässt er vorerst abtropfen.
Seit Donnerstag ist der Super-Zollsatz in Kraft, mit weiteren Demütigungen: Die Schweizer Regierungsspitze – Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter und der für Wirtschaft zuständige Bundesrat (Minister) Guy Parmelin – flog eilig nach Washington, Trump empfing sie aber nicht. Nur ein ergebnisloses Treffen beim Außenminister war drin. Nach der Rückkehr am Flughafen wurde die Bundespräsidentin von Mitarbeitern umarmt und getröstet. „So lacht die Welt über die Schweiz“, titelte die „Luzerner Zeitung“ trüb.
Dabei ist es nicht Häme, eher Mitleid. Trump hat an dem kleinen, auf seine Unabhängigkeit pochenden Land ein Exempel statuiert. Er sieht das große Handelsdefizit, getrieben durch Gold- und Pharma-Exporte; und ahnt, dass die bündnisfreie, neutrale Schweiz schutzlos ist in so einem Handelskrieg. Seine 39 Prozent sind das Zoll-Niveau von Laos und Syrien. Zum Vergleich: Die EU hatte 15 Prozent rausgehandelt, und das ist schon bitter für die Wirtschaft.
Tatsächlich hatten die Berner Regierenden unklug verhandelt. Die liberale Keller-Sutter glaubte, mit Trump gut auszukommen. Die sehr rechte, nationalkonservative Schweizerische Volkspartei SVP, die in der Allparteienkoalition selbstverständlich mitregiert, glaubte nach der US-Wahl sogar, „Trump liebt die Schweiz“. Irrtum, ein hartes Erwachen. „Das Selbstbild hat einen harten Schlag erlitten“, sagt der Zürcher Politologe Michael Hermann im „Spiegel“. Lange habe die Schweiz „in der Illusion absoluter Stabilität“ gelebt.
Gesucht wird nun nach einem Ausweg. Auf Gegenzölle hat Bern bisher verzichtet. Dass Trump die Zölle auf Gold aussetzt, wird bestenfalls als kleiner Fortschritt gesehen; das Handelsdefizit bleibt dadurch hoch. Weitere Gespräche sind geplant, aber noch nicht terminiert. In der Schweiz wird offensiv über eine verstärkte Hinwendung zur EU diskutiert. „Wohl nicht gerade ein Beitritt, aber sehr wohl eine stärkere Anbindung an die EU“ könne kommen, sagt Politologe Hermann. Auch überlegten Betriebe, ihre Produktion in die EU zu verlagern.
Die EU rät der Schweiz nun: Rückt näher ran! „Gott sei Dank haben wir ein Rahmenabkommen mit der Schweiz verhandelt, das die Schweiz jetzt möglichst schnell ratifizieren sollte“, sagte EU-Abgeordnete Markus Ferber (CSU). Das Land würde davon durch einen leichteren Zugang zum Binnenmarkt profitieren; die EU durch höhere Beiträge der Schweiz. „Eine engere Anbindung der Schweiz an die EU ist für beide Seiten von großem Nutzen“, sagt Ferber.
Es ist bereits der zweite Anlauf für das Abkommen, der Entwurf liegt seit Mai öffentlich vor, ist innenpolitisch in der Schweiz aber umstritten – unter anderem, weil der Europäische Gerichtshof (EuGH) mehr Macht bekäme. Die SVP stellt sich gegen das Abkommen („Unterwerfungsvertrag“). Die FDP sucht noch ihre Position. Die Sozialdemokratie (SP) steht für enge Zusammenarbeit und das Fernziel EU-Beitritt. Die „Mitte“, früher Christdemokraten, äußerte sich zuletzt positiver, doch auch hier gibt es Bedenken. „Nur weil es mit dem einen Partner nicht funktioniert, sollte man sich nicht blind dem anderen in die Arme werfen“, sagt ihr Nationalrat und langjähriger Parteichef Gerhard Pfister unserer Zeitung. „Bis das Volk über die Verträge mit der EU entscheidet, geht es aus meiner Sicht mindestens zwei Jahre, eher drei.“ Dann werde Trumps Amtszeit zu Ende sein, die Schweiz werde sich „dann die Frage stellen: ist das EU-Paket seinen Preis wert oder nicht?“
Pfister muntert seine Eidgenossen auf. „Es wird zweifelsohne schwieriger für die Schweiz. Aber wir dürfen die Zuversicht nicht verlieren.“