„Geht weg vom Katzentisch!“

von Redaktion

Manfred Weber (53) ist Chef der EVP in Europa. © dpa

Am Katzentisch? Macron, Starmer und Merz (v.l.) bei einem Treffen im Mai. © Kay Nietfeld/dpa

Europa starrte auf Alaska: Wird das Schicksal des Kontinents über unsere Köpfe hinweg verhandelt? Und wer geht gestärkt aus dem Trump-Putin-Treffen heraus? Im Interview mit unserer Zeitung ordnet Manfred Weber den Gipfel ein. Der Vize-Chef der CSU ist Vorsitzender der bürgerlich-konservativen EVP-Parteienfamilie in Europa und auch ihr Fraktionschef.

Europa noch nicht mal am Katzentisch in Alaska, sondern irgendwo im Nirgendwo. War dieser Gipfel einer der bittersten Tage für die EU?

Am Katzentisch zu sitzen, sich ohne große Verantwortung ab und zu an die amerikanische Schulter anzulehnen, war in der Vergangenheit bequem für uns Europäer. Heute bedeutet Katzentisch: Über unsere Köpfe hinweg wird über Krieg und Frieden entschieden beim Thema Ukraine, über Arbeitsplätze und Wohlstand bei den Zöllen. Für uns als Europäer muss dieses Treffen auch ein Weckruf sein, welche Rolle wir in der Welt spielen wollen. Wir müssen neu denken.

Was hat die Runde in Alaska gebracht?

Der Gipfel war ein Zwischenschritt ohne konkrete Ergebnisse. Dafür dann die Bilder zu sehen mit dem Kriegstreiber Putin, ist schon schwer erträglich. Es ist kompletter Hohn, wenn sich Putin als Garant für die Sicherheit in Europa aufspielt. Positiv ist ein wichtiger Punkt: Trump versucht es, er will reden, er will eine Friedensperspektive.

Roter Teppich, keine Ergebnisse: War genau das ein Sieg für Putin, wie es viele Experten und Kommentatoren deuten?

Putin bleibt hart. Er will 100 Prozent – also die Kapitulation der Ukraine. Er will die Geschichte revidieren und den Zusammenbruch der UdSSR heilen. Wir müssen uns klar werden: Diplomatie wird bei Putin nur wirken, wenn sie verbunden ist mit Stärke, wirtschaftlich wie militärisch. Deshalb müssen wir Europäer die Waffen, die wir der Ukraine anbieten können, jetzt auch ohne Begrenzungen liefern. Parallel müssen wir die finanzielle Unterstützung für die Ukraine über 2025 hinaus sicherstellen. Auch Putin muss klar werden: Dieses Land wird überleben.

Im Gegenzug müssen wir vielleicht auch aussprechen: Die Ukraine wird bei einem Friedensschluss schrumpfen.

Alle territorialen Entscheidungen sind ukrainische Entscheidungen. Wir reden über ein souveränes Land. Wichtiger ist mir, dass der Westen heute einig ist: Frieden wird es dauerhaft nur mit stabilen Sicherheitsgarantien geben. Dass Trump signalisiert, die USA können Teil dieser Sicherheitsgarantien sein, ist ein großer Fortschritt.

Welche Reformen braucht Europa, um wieder stärker präsent zu sein?

Ich fordere für den Herbst einen Sondergipfel der EU-Staaten, eine Grundsatzdebatte über unsere Rolle. Wir müssen uns strategisch neu aufstellen! Das heißt im Bereich Sicherheit: Es gibt heute keine Stärke Europas ohne den Pfeiler der Verteidigung. Dazu brauchen wir einen europäischen Sicherheitsrat, der für Europa spricht und die Verteidigung koordiniert. Das muss die Weiterentwicklung der „Koalition der Willigen“ sein. Und langfristig braucht es einen direkt gewählten europäischen Präsidenten. Die USA haben Trump, China Xi, Russland Putin – die EU braucht einen Präsidenten, der mit einer Stimme für den Kontinent spricht und unsere Interessen verteidigt.

Stattdessen steigt die Bedeutung nationaler Leader. Sind Sie zufrieden, wie Kanzler Merz Deutschland und Europa steuert?

Merz ist binnen weniger Tage in der internationalen Politik angekommen – und führt. Er konsolidiert Europa, entwickelt gemeinsame Positionen, wird auch in den USA respektiert. Es war enorm wichtig, kurz vor dem Alaska-Gipfel noch mal mit Trump zu sprechen. Großen Respekt, was er da leistet.

Wenn Europa militärisch wie wirtschaftlich unabhängiger werden soll – war dann der Zoll-Deal mit Trump besonders fatal?

Zumindest für die Betriebe gibt es erst mal Planungssicherheit. Aber der Deal ist für uns Europäer schwierig, weil wir für Freihandel stehen. Wir sollten jetzt erst recht europäische Leitprojekte in der Verteidigung auflegen – übrigens auch zentral für viele Rüstungsunternehmen in Bayern – und nicht nochmal den Fehler machen, dutzende Milliarden Euro aus unseren Sondervermögen allein in den USA auszugeben. Für die Gelder, die Europa und Deutschland jetzt für ihre Souveränität und Sicherheit ausgeben wollen, muss ein Grundsatz gelten: buy European.

Blicken wir auf Gaza: Hat Merz Recht mit seinem neuen Kurs und dem temporären Waffenembargo gegenüber Israel?

Zunächst: Es gibt keinen seriösen deutschen Politiker, der nicht pro Israel wäre. Wir üben volle Solidarität, das Selbstverteidigungsrecht Israels steht außer Frage. Aber: Wir stellen keinen Blankoscheck aus für die israelische Regierung, genau um diese Diskussion geht es hier. Wenn im Herbst tatsächlich Netanjahu den Gazastreifen komplett besetzen will, ist das eine riesige Militäroperation, die mit Leid und furchtbaren Bildern verbunden sein wird. Schon jetzt sind in Gaza 60 000 Menschen ums Leben gekommen, darunter viele Kinder.

Also: Merz hatte Recht, die CSU, die dagegen wetterte, hingegen nicht?

Andere europäische Staaten gehen deutlich weiter mit einer Anerkennung Palästinas als Staat. Merz hat mit seiner Position dafür gesorgt, dass Europa auch in der Gaza-Frage halbwegs Konsens organisiert hat. Wir müssen außerdem stärker auf unsere Partner in der Region achten: Jordanien, das Israel gegen den Iran verteidigt hat; Ägypten, das uns derzeit stark hilft in der Migrationspolitik, wenn wir nicht die nächste Flüchtlingskrise wollen. Stopp-Signale wie von Merz an Netanjahu und auch von der EU, Israel aus dem gemeinsamen Forschungsprogramm zu nehmen, sind sehr wichtig. Im Kern steht da eine Frage: Zerstört die israelische Regierung mit ihrem Vorgehen die Chance für eine Zwei-Staaten-Lösung? Das wäre ein fundamentaler Verstoß gegen die europäische Position. Noch mal: Solidarität ja, aber kein Blankoscheck.

Verstehen Sie die Klage der CSU, von Merz nicht angehört worden zu sein? Oder macht man sich da klein?

Die CSU ist ein wesentlicher Partner in der Koalition. Mein Petitum ist: Bitte lasst uns das europäisch einordnen, falls wir für Entscheidungen wirklich eine Rolle spielen wollen. Solche kleinen nationalen Streitereien führen genau wieder zurück zum Katzentisch.

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