Bisher gebührenfrei: Viele Patienten sitzen in einer Arztpraxis. © dpa
München/Berlin – Als FDP-Gesundheitsminister Daniel Bahr 2012 die Abschaffung der Praxisgebühr verkündete, nannte er sie „ein Ärgernis“. Zehn Euro hatten Patienten seit 2004 jedes Quartal einmalig über den Praxistresen schieben müssen, wenn sie zum Arzt gehen wollten. Das war damit vorbei.
Nun aber kehrt die Idee unter neuem Namen zurück – jedenfalls wenn es nach Steffen Kampeter geht, dem Geschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. „Wir Arbeitgeber wollen, dass die Krankenversicherungsbeiträge endlich stabil werden. Das bedeutet aber, wir brauchen auch geringere Ausgaben“, hat er dem Podcast von „Politico“ gesagt – und eine sogenannte Kontaktgebühr gefordert, die bei jedem Praxisbesuch bezahlt werden solle. Denn man brauche keine unnützen Arztbesuche, sondern solche, die Kranken helfen, gesund zu werden. „Mir geht es nicht primär um die Einnahmen, sondern darum, Ärzte-Hopping zu begrenzen“, wird Kampeter zitiert.
Hintergrund: Der Bundesrechnungshof hatte zuletzt in einem Bericht an den Haushaltsausschuss des Bundestags vorausgesagt, dass nach einem Rekordwachstum bei den Ausgaben im vergangenen Jahr auch künftig die Einnahmen der Krankenkassen durchgängig unter den Ausgaben bleiben würden. Das jährliche Milliardendefizit hätte „einen Anstieg des durchschnittlichen Zusatzbeitragssatzes von 0,3 Beitragssatzpunkten pro Jahr“ zur Folge. Heißt: Die Beiträge für Arbeitgeber und Arbeitnehmer steigen immer höher.
Auch CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann hält deshalb Reformen bei den Sozialversicherungen für dringend nötig, will einer eigens dazu eingesetzten Kommission aber nicht vorgreifen. „Wir werden Reformen machen müssen, gerade bei den Sozialversicherungen, weil die Lohnnebenkosten uns abhauen“, sagt er. Wo genau etwas geändert werden solle, müsse geschaut werden. „Wir haben eine Kommission eingerichtet, die sich mit diesen Themen beschäftigt.“ Er wolle einzelne Punkte nicht herausziehen, aber klar sei, die Sozialversicherungsbeiträge seien zu hoch. „Und das spüren die Arbeitnehmer. Wir haben keine Probleme mit Bruttolöhnen, sondern mit Nettolöhnen, und deswegen müssen wir da ran.“ Grundsätzlich müsse Eigenverantwortung wieder gestärkt werden. „Wir werden auch darüber reden, ob die telefonische Krankschreibung so sinnvoll ist oder ob man nicht sagt, wenn man krank ist, muss man zum Arzt gehen“, führt der CDU-Generalsekretär einen weiteren umstrittenen Punkt an.
Wenig übrig für die Arbeitgeber-Idee hat hingegen Klaus Holetschek. „Eine Kontaktgebühr bei Arztbesuchen wäre völlig der falsche Weg“, sagt der CSU-Fraktionschef im Landtag unserer Zeitung. Denn, so Holetschek: „Sie würde vor allem Chroniker treffen – etwa Dialyse-Patienten, die dutzende Male im Jahr auf zwingend notwendige Termine angewiesen sind. Auch Impfungen oder Krebsbehandlungen wären absurderweise betroffen.“ Der CSU-Politiker findet: „Statt neue Gebühren einzuführen, müssen wir das System so gestalten, dass die Sozialabgaben nicht weiter steigen.“
Der richtige Ansatz, um Patienten besser zu steuern, sei „das im Koalitionsvertrag vereinbarte Primärarztsystem mit verlässlicher Terminvergabe“, sagt Holetschek. Die Idee dahinter: Patienten steuern als ersten Ansprechpartner zunächst immer einen selbst ausgesuchten Primärarzt an, der sie gegebenenfalls weiter überweist. Im Gegenzug sollen sie garantiert schneller einen Facharzttermin oder eine ambulante Behandlung im Krankenhaus erhalten. „Wer will, dass die Menschen zuerst zum Hausarzt gehen, erreicht das nicht über Strafzahlungen, sondern über Anreize“, sagt Holetschek.
Der Sozialverband SoVD hält den Arbeitgeber-Vorstoß sogar für inhaltlich abwegig. Denn Menschen mit wenig Geld würden dann auch häufiger auf notwendige Arztbesuche verzichten, sagt die Vorsitzende Michaela Engelmeier. Die Folge davon sei: „Verschleppte oder zu spät behandelte Erkrankungen, die letztlich höhere Kosten verursachen und die Solidargemeinschaft zusätzlich belasten.“MIT DPA