Im Gedenken an den Holocaust: Friedrich Merz (CDU) besucht die Gedenkstätte Yad Vashem im Jahr 2023. Damals war er noch nicht Kanzler. © Yefimovich/pa
München – Nahezu täglich liefern Nachrichtenagenturen neue Bilder aus dem Gazastreifen, erschreckende Bilder. Kinderleichen in weiße Tücher gehüllt, Palästinenser mit blechernen Töpfen, die um Essen betteln, ganze Städte in Schutt und Asche gelegt.
Während die israelische Regierung ihren Gaza-Einsatz mit voller Härte fortführt, ist nun offiziell im Norden des Küstenstreifens eine Hungersnot erklärt worden. Eine Analyse der zuständigen UN-Initiative sieht die Kriterien dafür im Regierungsbezirk Gaza und in der Stadt Gaza erfüllt. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu wies die Erklärung scharf zurück. Der UN-Bericht sei eine „glatte Lüge“, erklärte er am Freitag. Israel verfolge keine „Politik des Verhungerns“.
Die Crux in diesem Krieg: Internationale Journalisten dürfen seit dem 7. Oktober 2023 nicht in das Kriegsgebiet einreisen. Diese grausamen Aufnahmen stammen von palästinensischen Fotografen, die für Nachrichtenagenturen wie die AFP von vor Ort berichten. Immer wieder wirft Israel allerdings örtlichen Reportern Hamas-Nähe vor, während es den Zugang für die internationale Presse blockiert.
Jetzt fordern 27 Staaten – darunter auch Deutschland – Israel dazu auf, den internationalen Medienzugang nach Gaza zu ermöglichen. Medienschaffende „spielen eine entscheidende Rolle dabei, die verheerende Realität des Krieges ins Rampenlicht zu rücken“, heißt es einer Erklärung. Außerdem fordern die Unterzeichner erneut einen „sofortigen Waffenstillstand“ inklusiver Freilassung aller Geiseln, humanitärer Hilfe und einen „Weg hin zu einer Zweistaatenlösung“.
Der Umgang mit der israelischen Regierung wird immer mehr zu einem Balanceakt für Deutschland. So trägt Berlin zwar diese gemeinsame Erklärung mit, gleichzeitig gehört Außenminister Johann Wadephul (CDU) nicht zu den Unterzeichnern eines weiteren Statements, in dem das umstrittene israelische Siedlungsprojekt im Westjordanland verurteilt wird. Oft sind es nur kleine Nuancen, warum die deutsche Regierung sich nicht immer an internationaler Kritik beteiligt.
Umso beachtlicher ist jetzt ein Gastbeitrag für das RND von Christoph Heusgen, dem scheidenden Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz. Darin fordert der ehemalige Merkel-Berater, dass die Bundesregierung einen Palästinenserstaat anerkennt. Er befürchtet, dass sich Israel zu einem „Apartheidstaat“ entwickelt. „Alle diplomatischen Versuche, die israelische Regierung zum Einlenken zu bringen, haben nichts bewirkt.“ Israels Sicherheit sei deutsche Staatsräson. „Aber zur israelischen Sicherheit gehört auch, dass sich das Land nicht durch den exzessiven Einsatz militärischer Gewalt und den Bruch des Völkerrechts weltweit Feinde macht und isoliert.“
Mehrere Staaten, darunter Frankreich, Kanada und Australien, wollen im September einen palästinensischen Staat anerkennen. Für die Bundesregierung kommt dieser Schritt vorerst nicht infrage.
Mit dem teilweisen Lieferstopp von Rüstungsgütern an Israel hat Kanzler Friedrich Merz (CDU) aber bereits eine Kehrtwende in der deutschen Israel-Politik hingelegt. Nicht ohne Kritik – auch aus den eigenen Reihen. Aber auch Bundestagsvizepräsident Omid Nouripour (Grüne) hält nicht viel davon, der Exportstopp sei zu „kurzsichtig“. Diese Entscheidung helfe keinem Kind in Gaza, befreie keine Geiseln.
Gleichzeitig spricht der Ex-Grünen-Chef auch einen anderen Aspekt an, warum Deutschland den Druck auf Israel nicht weiter erhöht. So sei man hierzulande sowohl bei der Rüstungstechnologie als auch in der nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit sehr auf Israel angewiesen. „In den Belangen brauchen wir die Israelis mehr als sie uns“, sagt er. „Das ist die brutale Realität.“
Israels Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, schlägt in die gleiche Kerbe. Merz‘ Entscheidung habe keinen Waffenstillstand befördert, sagt er jetzt. „Wir hören den Bedenken aus Deutschland zu.“ Umgekehrt erwarte man dasselbe. Und: „Israel wird existenziell bedroht.“(MIT DPA)