KOMMENTARE

Ideenlos in den Reformherbst

von Redaktion

Debatte um Sozialreformen

Eines unterscheidet Friedrich Merz sehr wohltuend von seinem Vorgänger Olaf Scholz: Der noch immer neue Bundeskanzler redet nicht um den heißen Brei herum. Er sei mit dem, was seine Koalition bislang geleistet habe, nicht zufrieden, erklärte Merz ganz klar am Wochenende. Und er meinte damit explizit nicht die Verpackung, sondern die Substanz der Regierungspolitik. Punkt zwei war eine inhaltliche Ankündigung: Unser Sozialstaat ist angesichts unserer volkswirtschaftlichen Kraft so nicht mehr finanzierbar.

Die gnadenlose Ehrlichkeit des Kanzlers dürfte seinen Koalitionspartner verstören. Sie ist aber richtig. Denn alle Kennzahlen sollten alarmieren: Die sogenannte Staatsquote – also das Verhältnis von Staatsausgaben zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) – ist auf fast 50 Prozent gestiegen. Jeder zweite Euro, der in Deutschland erwirtschaftet wird, wird durch die öffentlichen Kassen geschleust. Für den Anstieg sind vor allem die steigenden Sozialausgaben verantwortlich. Überraschen kann das niemanden: Dass die Generation der Babyboomer in Rente geht, war absehbar. Auch das Problem der Pflegeleistungen wurde immer vertagt.

Die Situation 2025 ähnelt der von 2003: Eine ohnehin schwächelnde Wirtschaft wird von den steigenden Sozialkosten zusätzlich gelähmt (auch wenn es deutlich mehr Arbeitslose gab). Damals war es mit Gerhard Schröder ein tatkräftiger Kanzler, der dem Land mit schonungslosem Realismus eine Radikalkur verpasste. Das Problem: So gut die Agenda 2010 für Deutschland war, so schlecht war sie für die SPD. Sie hat sich nie erholt. Vielleicht auch deshalb kommt von den Genossen 2025 so gar kein Vorschlag, wie man die Sozialsysteme reformieren könnte.

Deshalb übernehmen andere Gruppierungen das Brainstorming. Die Arbeitgeber wollen die Praxisgebühr wiederbeleben. Ein Wirtschaftsprofessor irrlichtert mit der Idee eines verpflichtenden sozialen Jahres für Rentner umher. Und trotzdem ist es richtig, sich überhaupt einmal Gedanken zu machen. Angela Merkels Devise – Augen zu und aussitzen – geht nicht mehr.

Der Vorwurf geht übrigens nicht nur an die SPD. Auch die CSU treibt die Ausgaben eher hoch, als sie zu begrenzen. Aber den Sozialdemokraten fallen allein neue Steuern und höhere Abgaben ein. Doch diejenigen, die Vollzeit arbeiten, damit den Staat tragen und fürs Alter vorsorgen, dürfen nicht noch weiter belastet werden. Stattdessen muss der Staat die eigenen Ausgaben hinterfragen, die Wirtschaft von Bürokratie entlasten, die Eigenverantwortung auch von Leistungsempfängern erhöhen. Heißt: Die Debatte über Sozialreformen wird sich nicht auf Rente, Krankenkassen und Pflege beschränken. Die Regierung Merz muss Deutschland ein bisschen neu erfinden. MIKE.SCHIER@OVB.NET

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