Tücken der Selbstbestimmung

von Redaktion

Lippenstift und Schnurrbart: Marla-Svenja Liebich vor Gericht. © picture alliance

Das Selbstbestimmungsgesetz erleichtert es, den Geschlechtseintrag zu ändern. © Zöllner/imago

München – Sven Liebich zählte zu den ersten Nutzern des Selbstbestimmungsgesetzes der Ampel-Regierung. Nur wenige Wochen, nachdem es zum 1. November 2024 in Kraft getreten war, ließ die Person aus dem Neonazi-Milieu den Geschlechtseintrag von männlich zu weiblich ändern. So wurde Sven gegen eine Gebühr von 50 Euro zu Marla-Svenja.

Als Marla-Svenja Liebich in den Augen der Behörden noch ein Mann war, fiel sie mit homophoben und transfeindlichen Äußerungen auf. 2023 beschimpfte sie Homosexuelle als „Parasiten der Gesellschaft“ und sprach von „Transfaschismus“ in Deutschland. Ihre vermeintliche ideologische Kehrtwende beschäftigt die Politik noch immer, besonders weil die wegen Volksverhetzung zu 18 Monaten Gefängnis verurteilte Liebich zu ihrem Haftantritt am kommenden Freitag – gemäß ihrem Geschlechtseintrag – in ein Frauengefängnis geladen wurde.

Darum steht der Verdacht im Raum, Liebich habe den Geschlechtseintrag geändert, um die Haftbedingungen zu beeinflussen und das Selbstbestimmungsgesetz zu verhöhnen. Für Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) steht fest: „Das ist ein Beispiel für den sehr simplen Missbrauch des Selbstbestimmungsgesetzes.“ Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sieht Reformbedarf: „Wir brauchen klare Regeln, das Selbstbestimmungsgesetz kann so nicht bleiben“, sagte er unserer Zeitung. Der Staat dürfe nicht tatenlos zusehen, wie ein Mann sich als Frau ausgebe und das System missbrauche. „Es kann nicht sein, dass biologisch männliche Straftäter als angebliche Transfrauen in Frauengefängnissen untergebracht werden, nur weil sie es so wollen“, so Herrmann.

Das Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag (SBGG), wie es offiziell heißt, wurde von der Ampel-Regierung beschlossen. Es erleichtert es trans-, intergeschlechtlichen und nichtbinären Personen, ihren Geschlechtseintrag und ihre Vornamen ändern zu lassen. Während dafür zuvor gemäß dem Transsexuellengesetz von 1980 eine gerichtliche Entscheidung und zwei psychologische Gutachten nötig waren, reicht seit dem 1. November 2024 eine persönliche Erklärung gegenüber dem Standesamt aus. Das Verfahren des Transsexuellengesetzes hatten viele queere Menschen als demütigend und entwürdigend empfunden.

Daten des Statistischen Bundesamts zeigen, dass die Zahl der Änderungen des Geschlechtseintrags seit der neuen Regelung deutlich gestiegen ist. 2024 gab es demnach bundesweit 10 589 Fälle. 9993 davon wurden in den Monaten November und Dezember gemeldet, als das SBGG bereits galt.

Im Koalitionsvertrag von Union und SPD ist eine Neu-Evaluierung des Selbstbestimmungsgesetzes „bis spätestens 31. Juli 2026“ vorgesehen. Dabei soll es unter anderem um „Fristsetzungen zum Wechsel des Geschlechtseintrags“ gehen. „Wenn man einmal im Jahr sein Geschlecht nur mit einer einfachen Erklärung wechseln kann, öffnet das dem Missbrauch Tür und Tor“, sagte Herrmann. Schwarz-Rot könnte die Frist hochsetzen. Innenminister Dobrindt plant außerdem eine Daten-Verordnung, die dafür sorgen soll, dass die ursprünglichen Geschlechtseinträge bei den Behörden gespeichert bleiben. Der Koalitionspartner SPD warnt jedoch davor, aus dem Fall Liebich Konsequenzen für das Selbstbestimmungsgesetz zu ziehen. „Rechten Stimmungsmachern sollte man nicht auf den Leim gehen“, sagte die Queerbeauftrage der Bundesregierung, Sophie Koch (SPD), dem „Spiegel“.

Auch aus der Opposition kommt Kritik an Dobrindts Vorschlag: „Mit der vorgesehenen Speicherung und Abrufbarkeit früherer Geschlechts- und Namensangaben verletzt der Entwurf grundlegende Schutzpflichten des Staates“, so die queerpolitische Sprecherin der Grünen, Nyke Slawik.

Ob sich Liebich als Sven oder Marla-Svenja fühlt, kann nur sie beurteilen. Auch ob sie im Frauengefängnis bleiben darf, steht noch nicht fest. Klar wird jedoch aus ihren homophoben und transfeindlichen Aussagen sowie ihrem Onlineshop, in dem sie einen Baseballschläger mit der Aufschrift „Abschiebehelfer“ verkauft, dass sie vor allem eines möchte: provozieren. Zumindest das hat sie geschafft.

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