Eine Frau trauert in Srebrenica um ihre vor 30 Jahren ermordeten Angehörigen. © Durgut/dpa
Auf dem Balkan brodelt es: Massenproteste in Serbien, Abspaltungs-Bestrebungen in Bosnien. Der Präsident der bosnischen Serben, Milorad Dodik, wurde abgesetzt und zu einer Haftstrafe verurteilt, weil er sich den Weisungen des Verfassungsgerichts und des Hohen UN-Repräsentanten widersetzt hat. Trotzdem macht er einfach weiter und will sich das im Herbst per Referendum bestätigen lassen. Unsere Zeitung sprach mit Ex-Agrarminister Christian Schmidt (CSU), der seit 2021 Hoher UN-Repräsentant in Sarajevo ist.
Was tun Sie, wenn Dodik sein Amt nicht räumt?
Das geht nicht an mich, sondern an die staatlichen Behörden. Die gute Nachricht ist: Die bosnische Justiz funktioniert. Sie hat in der Vergangenehit einen Haftbefehl gegen Dodik ausgesprochen und ihn so zu einer Aussage gezwungen. Auch die EU hat sich klar positioniert: Wer in die EU will, darf sich nicht so verhalten.
Serbien unterstützt Dodik weiter. Warum?
Serbiens Präsident Aleksander Vucic taktiert. In Hinblick auf die Anti-Korruptions-Proteste, die es gegen Vucic seit Monaten gibt, sieht Belgrad die Sache Dodik eher unter dem Gesichtspunkt: Nutzt oder schadet es uns, wenn wir ihn unterstützen? Das macht es so kompliziert, vorauszusagen, wer sich auf welche Seite schlägt. Aber mir wäre es natürlich lieber, wenn die Nachbarstaaten Serbien und Kroatien ihren Verpflichtungen aus dem Daytoner Friedensabkommen nachkommen würden.
Wird sich die Republik Srpska abspalten? Droht ein neuer Bürgerkrieg?
Bisher steht Vucic trotz aller Taktiererei zur territorialen Integrität von Bosnien-Herzegowina. Die Spielerei von Dodik mit einer Abspaltung ist da, da will er – wie schon 2014 und 2016 – auch ein Referendum abhalten lassen. Das wird auch diesmal nicht stattfinden. Im unwahrscheinlichen Fall einer Sezession würden die Menschen in Massen abwandern – insbesondere in die EU. Eine Kriegsgefahr sehe ich nicht, denn die Menschen sind noch immer vom Krieg in den 90er-Jahren traumatisiert und wirklich kriegsmüde. Da sind sich ausnahmsweise alle einig – nicht noch einmal.
Offiziell ist Ihr Status als UN-Repräsentant sehr mächtig. Entlarvt Dodiks Vorgehen, dass Sie faktisch sehr machtlos sind?
Wenn ich ihm egal wäre, würde er sich nicht so intensiv um mich kümmern. Die erste viertel Stunde der staatlich gelenkten Nachrichten in der Republik Srpska beschäftigt sich täglich mit Beschimpfungen des Hohen Repräsentanten. Dodik verklärt verurteilte Kriegsverbrecher wie Mladic und Karadzic zu Helden, er spricht abschätzig über Muslime. Oppositionelle werden systematisch eingeschüchtert. Als Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft kann ich dieses Gebaren nicht einfach hinnehmen. Er hat durchaus Respekt vor mir, weil ich seine Kreise störe.
Wie sehr mischt Putin mit?
Dodik inszeniert sich gerne als Buddy von Wladimir Putin – allerdings auf einer nachgeordneten Ebene. Moskau hat kein strategisches Interesse an Bosnien und Herzegowina, dafür ist das Land wirtschaftlich viel zu unbedeutend. Das Bruttosozialprodukt des ganzen Staates entspricht nicht einmal einem Viertel des BSP der Stadt München! Aber Putin benutzt Dodik, um Ärger zu machen und zu destabilisieren. Gazprom liefert auch nach Bosnien-Herzegowina, da bestehen Abhängigkeiten. Aber in Kroatien soll ein Terminal entstehen, das US-Flüssiggas über eine Pipeline nach Bosnien leitet.
Wie funktioniert das Zusammenleben von Muslimen und Serben?
Im Praktischen funktioniert das durchaus. Aber es passiert auch, dass die Mütter von Srebrenica, deren Kinder bei den Massakern vor 30 Jahren umgekommen sind, sich auch noch von den damaligen Mittätern verspotten lassen müssen. Leider wird derartiges auch politisch instrumentalisiert und geschürt. Das Hauptproblem ist in Bosnien und Herzegowina, dass der Prozess der Versöhnung über den Gräbern noch nicht begonnen hat.