Eine Klausur soll es richten

von Redaktion

Lächeln bitte: Spahn (CDU), Miersch (SPD) und Hoffmann (CSU) beschwören ihre Einigkeit. © Peter/AFP

München – So richtig stimmig ist die Szenerie nicht. In dem rustikalen, holzvertäfelten Konferenzraum des Hotels Rebstock in Würzburg spricht Jens Spahn plötzlich niederländisch. „Het is Leuk dat je bij ons bent“ – es ist schön, dass Sie bei uns sind, sagt der CDU-Fraktionschef. Der Grund für seine sprachliche Exkursion ist der besondere Gast, den die schwarz-rote Koalition extra zu ihrer Klausurtagung geladen hat: Nato-Generalsekretär Mark Rutte.

Gleich zu Beginn der zweitägigen Kennenlernveranstaltung wohnt der Niederländer den Beratungen bei und setzt damit nicht nur einen symbolischen Akzent für die späteren tiefergehenden Diskussionen. Unmittelbar nach seiner Ankunft spricht er den „fürchterlichen Angriff auf Kiew“ in der vergangenen Nacht an. „Wir sollten nicht naiv in Bezug auf Wladimir Putin sein“, warnt er. Der Anschlag habe das gezeigt. Auch deswegen lobt Rutte die deutsche Kehrtwende bei der Verteidigung. Spahn bekräftigt: „Nur ein starkes, auch militärisch starkes Europa kann sicher sein.“ Und Deutschland werde vorangehen.

Ein neuer Wehrdienst, das Bekenntnis zum faktischen Fünf-Prozent-Ziel der Nato – diese Rolle rückwärts hat die neue Bundesregierung aus Union und SPD gemeinsam hingelegt. Bemerkenswert ist das auch, weil bei den Sozialdemokraten gerade der linke Parteiflügel bei einigen dieser Entscheidungen ordentlich zu schlucken hatte.

Doch diesen Eindruck will der Prominenteste von ihnen, SPD-Fraktionschef Matthias Miersch, möglichst abräumen. Dazu nutzt er gleich den ersten gemeinsamen Auftritt mit Rutte. Demonstrativ duzt Miersch den Nato-Generalsekretär. Und von „Mark“ die Dinge „aus erster Hand geschildert zu bekommen“, sei sehr hilfreich gewesen, bekundet er. Diese spezielle Einladung sei „ein Beleg dafür, dass wir als Fraktion im Deutschen Bundestag dieser großen Verantwortung gerecht werden wollen, die wir aufgrund der weltweiten Situation augenblicklich spüren“.

Eine deutsche Verantwortung, die offenbar auch bei den europäischen Partnern gut ankommt. So lobt etwa die spanische Zeitung „El Mundo“ die „Entschlossenheit Berlins, die Sicherheit Europas mit seiner Führungsrolle, seinen Truppen und seinem Budget zu sichern“. Gleichzeitig habe Deutschland auch eine unbequeme Wahrheit erkannt: „Der Wohlfahrtsstaat, der für Zeiten des Friedens und stabilen Wachstums konzipiert wurde, ist nicht mehr tragbar“, kommentiert der spanische Autor. In dieselbe Kerbe schlägt auch der italienische „Corriere della Sera“. Als Kanzler Friedrich Merz vergangene Woche den Sozialstaat als nicht mehr finanzierbar bezeichnete, habe er etwas ausgesprochen, „was alle wissen, aber niemand zu sagen wagt“, schreibt die Tageszeitung. Egal ob Madrid oder Mailand, man ist sich einig: Der deutsche Sozialstaat muss reformiert werden.

Das wissen auch alle Verantwortlichen in der Regierung. Noch liegen die schwarzen und roten Ideen ziemlich weit auseinander. Es wird gerungen um das Bürgergeld, um Steuererhöhungen, während der groß beworbene Herbst der Reformen naht. „Wir haben von Anfang an gewusst, das wird kein einfacher Weg“, gesteht Spahn ein. Allerdings will man noch vor dem Ende der Sommerpause den Grundstein für eine Zusammenarbeit mit weniger Reibung legen.

Der Reformdruck wächst nämlich auch aus der Bevölkerung. Laut einer Forsa-Umfrage für RTL/ntv halten 82 Prozent der Deutschen grundlegende Änderungen für nötig. Für nur 17 Prozent braucht es lediglich kleinere Reformen. Gleichzeitig aber genießt die Koalition kein besonders großes Vertrauen. Im Bereich der sozialen Sicherung glauben nur 13 Prozent daran, dass die aktuelle Regierung grundlegende Reformen vorantreiben wird. Diese Vertrauenskrise hat die Koalition ihrem Holperstart zu verdanken.

Doch der soll jetzt in Würzburg endgültig begraben werden. Spahn beschwört dafür den „Geist von Würzburg“. Da man „zum Erfolg verpflichtet“ sei. CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann verspricht, gestärkt aus dem Teambuilding-Event zu kommen. Und Miersch gelobt, künftig mehr miteinander zu reden. Besiegelt wird das mit einem gemeinsamen Frankenwein und einem Selfie auf der historischen Mainbrücke.

Artikel 1 von 11