Claudia Steinke steht vor dem Benedictus-Hof in Tutzing. Dort sind seit 2024 Geflüchtete untergebracht. © Andrea Jaksch
Tutzing – Eigentlich wollte Claudia Steinke längst auf dem Weg zu einem Termin sein. Stattdessen steht sie im Innenhof der Flüchtlingsunterkunft in Tutzing im Kreis Starnberg und spricht über einen Staubsauger. Unter den Bewohnern hat sich herumgesprochen, dass es einen Staubsauger gibt – nun möchten alle einen. Und Claudia Steinke muss erklären, dass man sich Staubsauger teilen kann.
Sie verbringt viel ihrer freien Zeit hier. Zu klären oder erklären gibt es immer etwas. Und manchmal erwarten sie die Kinder der Unterkunft schon an der Bürotür, weil sie wissen, dass es hier ab und zu Gummibärchen gibt. Die Unterkunft Benedictus-Hof ist erst ein Dreivierteljahr alt. Etwa 60 Geflüchtete leben hier in kleinen Wohnungen. Es gibt ein wenig Privatsphäre. Jede Familie oder WG hat ihr Bad und eine kleine Küche. Im Hof spielen meistens die Kinder, es gibt ein Sprach-Café, eine Hausaufgabenbetreuung, ein Ärzte-Team ist regelmäßig vor Ort.
Von einem Ort wie diesem hätten Steinke und die anderen Ehrenamtlichen des Ökumenischen Helferkreises in Tutzing vor zehn Jahren noch nicht mal zu träumen gewagt. Damals war der 10 000-Einwohner-Ort wie alle Kommunen nicht vorbereitet auf die vielen Menschen, die um Asyl baten. Sie wurden in einer Zeltstadt untergebracht. Privatsphäre gab es damals nicht, nur wenige Toiletten und Duschen. Aber den Helferkreis gab es bereits.
Claudia Steinke sah damals die Nachrichten von den vielen Menschen auf der Flucht und wusste: „Ich muss helfen.“ Seit acht Jahren ist sie Koordinatorin des Helferkreises. Netzwerke aufbauen, Ansprechpartner sein, die richtigen Menschen zusammenbringen – das sei ihre Stärke. Sie musste lernen, was viele Ehrenamtliche lernen mussten: sich abgrenzen können. Keine übermäßige Dankbarkeit für diesen Einsatz zu erwarten. Nicht allen Helfern ist das gelungen, viele haben aufgegeben. Auch aus Altersgründen, in den meisten Unterstützerkreisen sind die Ehrenamtlichen im Rentenalter. Claudia Steinke hat bis heute durchgehalten. Sie sagt: „Man muss für sich entscheiden, wie viel man geben will.“
Die Arbeit des Unterstützerkreises hat sich sehr verändert seit 2015. Anfangs übernahmen die Ehrenamtlichen noch Patenschaften für die Geflüchteten. Dafür gibt es heute nicht mehr genug Helfer, sagt Steinke. Obwohl sie zuletzt viele neue Ehrenamtliche dazugewinnen konnten. Wer helfen möchte, bringt sich heute gezielt für ein Thema ein, das ihm liegt. Und mit so viel Zeit, wie man opfern möchte. Das funktioniere gut, sagt Steinke. 40 bis 50 Helfer sind in Tutzing aktiv, im Verteiler sind gut 300 Leute.
Was sich in all den Jahren nicht geändert hat, sei die Unterstützung der Kirchen und des Rathauses, betont die 56-Jährige. „Wir versuchen hier in Tutzing gemeinsam, das Beste aus der Situation zu machen.“ Und das mit größtmöglicher Transparenz, immer wieder gibt es Info-Abende. Natürlich gebe es auch die kritischen Stimmen, sagt Steinke. Sie weiß, dass sie und die anderen Helfer nicht alle Ängste und Vorurteile aus der Welt schaffen können. Eine Mitschuld daran gibt sie auch der Politik. Nicht Merkels „Wir schaffen das“ – sondern der Stimmung, die danach von vielen Politikern herbeigeredet worden sei. Steinke betont: „Es ist richtig, das Negative klar zu benennen. Aber das muss konstruktiver und differenzierter passieren – und weniger emotional.“ Oft würden gerade die in den Abschiebeflugzeugen sitzen, die Arbeit gefunden hatten und fleißig waren, sagt sie. „Das demoralisiert.“ Nicht nur Geflüchtete. Auch viele Helfer.
Haben wir es geschafft? Das ist eine Frage, die sich Claudia Steinke nicht stellt. „Die Frage sollte sein, ob wir auf einem guten Weg sind.“ Für Tutzing beantwortet sie das ganz klar mit einem Ja. KATRIN WOITSCH