Schon im Februar gab es blaue Flecken in Hendrik Wüsts NRW. Jetzt kommen Kommunalwahlen. © MM
Düsseldorf/München – Eigentlich sind die beiden nicht gerade beste Freunde. Manch einer würde sie sogar als Konkurrenten bezeichnen, im Kampf um die Nachfolge von Kanzler Friedrich Merz. Doch jetzt steht erst einmal die nordrhein-westfälische Kommunalwahl an und dafür hat sich Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) extra Unterstützung aus Bayern geholt – Amtskollege Markus Söder (CSU). Kommenden Donnerstag werden Söder und Wüst in Bocholt 1000 Gäste auf die Wahl am 14. September einstimmen. Wie praktisch, dass beide zu den beliebtesten Politikern in Deutschland zählen. Denn in NRW geht es gerade um mehr als eine einfache Kommunalwahl.
Das Votum im bevölkerungsreichsten Bundesland gilt als erster wichtiger Stimmungstest nach der Bundestagswahl. Und die Angst vor einem Rechtsruck wächst parteiübergreifend. Zwar liegt die AfD laut der letzten Forsa-Umfrage mit 16 Prozent deutlich hinter CDU (38 %) und SPD (17 %). Aber das ist nur ein Durchschnittswert für das Bundesland – das heißt, hier sind auch Städte wie Münster dabei, in denen die AfD aktuell nur einen von 66 Sitzen im Rat hält.
Aber schon bei der Bundestagswahl im Februar gewann die AfD an Stimmen. So war sie etwa bei den Zweitstimmen in Essen in elf von 50 Stadtteilen stärkste Kraft, in diversen Stadtteilen rückte sie vor. In Gelsenkirchen landete sie mit 24,7 Prozent (siehe Grafik) hauchdünn auf Platz eins vor der SPD. Und im Wahlkreis Duisburg II blieb die AfD mit 24,6 Prozent gerade noch knapp hinter der SPD.
Doch warum wählen viele Menschen in NRW, vor allem im Ruhrgebiet, blau statt rot? Ali Kaan Sevinc, ein SPD-Politiker aus Essen, hat Feedback aus der Bevölkerung bekommen. Genannt werde von großen Teilen „eine Überbevölkerung durch außen“, zudem der „Rückzug des Staates bei Sauberkeit und Ordnung“, sowie Veränderungen im Stadtteilbild insgesamt, sagt er. Die AfD sei für viele „ein Resonanzraum für Enttäuschung und Wut über eine Politik, die als untätig gegenüber lokalen Problemen wahrgenommen wird – besonders im Bereich Integration“, sagt auch Politikwissenschaftler Oliver Lembcke von der Uni Bochum. „Vor allem in strukturschwachen Regionen mit industriellem Niedergang, wie Gelsenkirchen oder Duisburg, hat die AfD gute Chancen, ihre Ergebnisse auszubauen und sich dauerhaft zu verankern.“
Für den Politologen Albrecht von Lucke verliert vor allem die SPD erheblich nach rechts, weil ihre früheren Stammwähler, die Arbeiter, in Teilen lieber die AfD oder auch die Union wählen. „Die SPD hat den Kontakt zur Arbeiterschaft verloren“, sagt er dem „stern“.
Das weiß auch der SPD-Kommunalpolitiker Kaan Sevinc. „Wir haben in 40 Tagen Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen. Gott stehe uns bei…“, fasste er Anfang August die Stimmungslage zusammen. Er bedauert, dass die „Propaganda“ der AfD immens funktioniere. „Bisher konnten wir das bei allen Wahlgängen mit unserer Präsenz, der Vernetzung, der Kampagnenfähigkeit abfedern, und wir wurden stärkste Kraft“, sagt der Essener Politiker. „Wenn wir aber im Bund derart abschmieren, wird es auch für uns eng.“
Die SPD, aber auch die CDU hätten das einst große Vertrauen auf lokaler Ebene durch eigenes Verschulden verloren, analysiert Forsa-Chef Güllner. Auch Fehler von CDU-Kanzler Merz „machen es der AfD leicht, bei der NRW-Kommunalwahl in den Räten aller Gemeinden und Städte sowie in den Kreistagen stark vertreten zu sein“, prognostiziert er.
Sollte die AfD deutlich zulegen, werden die Mehrheitsverhältnisse für die Parteien der demokratischen Mitte schwieriger, glaubt Politikwissenschaftler Lembcke. „Auf kommunaler Ebene stellt sich dann die bekannte Brandmauer-Frage“, sagt er. Kein Wunder also, dass Söder und Wüst da gegensteuern wollen – gemeinsam.