Auf dem Michaelsplatz in Kiew gedenken (v.l.) Jens Spahn, Botschafter Martin Jäger und Matthias Miersch der getöteten ukrainischen Soldaten. © Michael Fischer/dpa
München – Würzburg hat Spuren hinterlassen, zumindest soll es so aussehen. Das Treffen der Koalitions-Fraktionschefs in Franken ist erst ein paar Tage her und trotzdem, oder gerade deswegen machen sich Jens Spahn und Matthias Miersch am Montag zu einer gemeinsamen Reise auf. Es geht nach Kiew, über Polen, dann weiter per Sonderzug. Noch während der Fahrt sprechen beide von einem Zeichen der klaren Unterstützung für die Ukraine. Aber der Trip ist weit mehr.
Dass ausgerechnet diese zwei Männer gemeinsam verreisen, hätte man vor Kurzem noch kaum für möglich gehalten: Der Streit um die gescheiterte Richter-Wahl vor der Sommerpause hatte das Verhältnis zwischen Miersch und Spahn empfindlich gestört. Erst in Würzburg, Wochen später, rauften sie sich demonstrativ zusammen – weil man „zum Erfolg verpflichtet“ (Spahn), aber auch, weil da zwischen beiden „etwas gewachsen“ (Miersch) sei. Kiew ist quasi die Fortsetzung. So schräg das klingt: Die Reise in den Krieg soll auch den Koalitionsfrieden daheim festigen.
Der Besuch ist auch sonst ein Novum: Zwar gab es schon zu Ampel-Zeiten gemeinsame Reisen von Regierungs-Mitgliedern in die Ukraine, nicht aber auf Ebene der Fraktionschefs. Gerade die ist allerdings entscheidend, denn das Parlament entscheidet über die Ukraine-Hilfen und – sollte es irgendwann zum Waffenstillstand kommen – auch über eine Entsendung deutscher Truppen. Spahn sagt dann auch, die gemeinsame Reise zeige, dass neben der Regierung auch die Mehrheit des Parlaments an der Seite der Ukraine stehe. „Es ist insofern ein gutes Zeichen für die Ukraine, aber auch ein gutes Zeichen für die Entschlossenheit der Koalition.“
Für beide Politiker ist es der erste Besuch in der Ukraine. In Kiew empfängt sie der deutsche Botschafter Martin Jäger, der bald als Präsident des Bundesnachrichtendienstes nach Berlin wechseln wird. Zusammen mit ihm sehen sie sich die Folgen der jüngsten russischen Angriffe auf die ukrainische Hauptstadt an. Auch nach Butscha fahren die zwei, ein Pflichtbesuch für jeden ausländischen Gast. Dort hatte die russische Armee im ersten Kriegsjahr ein Massaker verübt, 450 Zivilisten sollen damals getötet worden sein. Seither steht der Ort sinnbildlich für Moskaus kaltherziges Vorgehen.
Vor allem Miersch dürfte wichtige Eindrücke mit in die Fraktion zurücknehmen. Er sei noch nie in einem Kriegsgebiet gewesen, sagt er vor den Ruinen eines Kiewer Gebäudes. „Es ist eine Sache, über den Krieg zu lesen, und eine andere, hier zu sein.“ Aus Teilen der SPD hatte es immer wieder Kritik daran gegeben, dass zu viel auf Waffenhilfe und zu wenig auf diplomatische Initiativen gesetzt werde. Dass Kreml-Chef Wladimir Putin seine Angriffe seit dem Show-Gipfel mit US-Präsident Donald Trump noch verschärft, dürfte manchen die Augen öffnen. Auch Spahn sagt am Montag, es sei „Putin, der keinen Frieden will, der Krieg will“. Umso stabiler müsse jetzt die Unterstützung für die Ukraine sein.
Konkrete Ankündigungen, etwa beim heiklen Thema Sicherheitsgarantien für Kiew, machen die beiden trotzdem nicht. Ob die Bundeswehr helfen könnte, einen Waffenstillstand abzusichern? Schon die Debatte darüber halten Spahn und Miersch für verfrüht (siehe auch Text unten). Der SPD-Mann sagt allerdings auch: „Wir schließen nichts aus.“
Dafür zeigen sich die Fraktionschefs für etwas anderes offen: eingefrorenes russisches Vermögen zur Unterstützung der Ukraine zu nutzen. Darüber wird schon seit Kriegsbeginn immer wieder diskutiert. Bisher schreckte man auch wegen rechtlicher Bedenken zurück, nun könnte so eine Maßnahme Teil neuer EU-Sanktionen gegen Moskau sein. Gut 200 Milliarden Euro der russischen Zentralbank sollen in der EU eingefroren sein. Miersch sagt in Kiew, alle Optionen lägen auf dem Tisch.
Verbindlich ist das nicht gerade – dafür ist diese Reise womöglich eine verbindende nach dem schwarz-roten Holperstart.