So deftig hat sich noch nicht oft ein Kanzler von einer seiner Ministerinnen abwatschen lassen müssen. „Bullshit“, vornehm übersetzt totaler Quatsch, sei die Behauptung von Friedrich Merz, die Deutschen könnten sich ihren Sozialstaat nicht mehr leisten, sagt Arbeitsministerin Bärbel Bas. Solange die SPD noch immer genügend „Reiche“ findet, die für die Party blechen sollen, stimmt das sogar. Fragt sich nur, wie lange die sich das noch gefallen lassen. Schon jetzt tragen die zehn Prozent Spitzenverdiener 55 Prozent des Steueraufkommens, und das Viertel der bestverdienenden Steuerzahler finanziert 77 Prozent der Einnahmen des Fiskus. Diese Schraube lässt sich natürlich weiter anziehen. Doch irgendwann könnten die Melkkühe der Nation feststellen, dass es auch im Ausland grüne Weiden gibt. Oder dass ein Leben nicht nur aus Arbeit bestehen muss.
Im schlechten Fall fliegen der Kanzler und seine Koalition im „Herbst der Reformen“ aus der Kurve – zu unabweisbar ist der Handlungsdruck durch die steigenden Arbeitslosenzahlen, zu schrill schon jetzt die Alarmrhetorik der Unternehmensverbände. Im besseren Fall aber führen die Spitzengenossen gerade einen Showkampf vor der für sie entscheidend wichtigen Kommunalwahlen in den vor der Übernahme durch die AfD stehenden Ruhrgebietsmetropolen auf, um nach dem 14. September umzusteuern und eine Einigung mit CDU und CSU anzustreben. So übertönte schon am Wochenende das mediale Getöse um das Bullshit-Zitat die Klagen der Linkspartei über die erneute Nullrunde beim Bürgergeld, die Bas fast im selben Atemzug verkündete. Ihr Plan ging damit auf. Und auch die Notwendigkeit einer Sozialstaatsreform stellte die Arbeitsministerin ausdrücklich nicht in Abrede.
Noch eine Geste lässt hoffen, dass die Stimmung in der schwarz-roten Koalition nicht so ganz schlecht ist wie ihr mediales Erscheinungsbild. Die gemeinsame Ukraine-Reise von Unions-Fraktionschef Jens Spahn und seinem SPD-Kollegen Matthias Miersch, der eigentlich vom Friedensflügel der SPD stammt, war erkennbar als eine Demonstration der außenpolitischen Eintracht gedacht. Die Abgesänge auf Schwarz-Rot könnten sich also als verfrüht erweisen. GEORG.ANASTASIADIS@OVB.NET