Jetzt muss es ohne Habeck gehen: Die Fraktionschefinnen Katharina Dröge (re.) und Britta Haßelmann sind nun die Gesichter der Partei im Bundestag. © Michael Kappeler/dpa
München – Es ist ein eher trüber Dienstagmorgen, aber für Robert Habeck könnte er trotzdem ganz gut gewesen sein. Der Wirtschaftsminister a.D., der sich mit lautem Knall aus der Politik zurückgezogen hat und künftig im Ausland „forschen, lehren und lernen“ will, feiert seinen 56. Geburtstag. Und passend dazu veröffentlicht der „Stern“ eine Forsa-Umfrage, wonach sich 35 Prozent ein Comeback des Vorzeige-Grünen wünschen.
35 Prozent. Es gab mal Zeiten, da träumten auch die Grünen von solchen Werten. „Werden die Grünen die neue Volkspartei?“, fragte im Sommer 2019 nicht nur die „Bild“-Zeitung. Infratest dimap taxierte die Ökopartei damals bei 26 Prozent – als stärkste Kraft der SPD (damals 12) weit enteilt. Ähnlich wie im Mai 2021, als sich die frisch gekürte Kandidatin Annalena Baerbock ernsthafte Hoffnung machen konnte, die nächste Bundeskanzlerin zu werden.
Vier Jahre später ist vom Hype nichts mehr zu spüren. Die Grünen sind wieder Nischenpartei für Klima- und Umweltschutz. In den Umfragen liegen sie mit elf bis zwölf Prozent auf Platz vier, nur knapp vor der wiederbelebten Linkspartei. Im Bundestag kommt am Dienstagmorgen der Fraktionsvorstand zur Klausur zusammen. Die Themen der Partei – von Klimaschutz bis zu den Rechten von „LSBTIQ*-Personen“ – haben aktuell keine große Konjunktur. Aber natürlich redet Fraktionschefin Katharina Dröge nicht über die eigene Schwäche – sondern die der Regierung.
Dröge gibt sich unverdrossen. „Das erste Thema ist Klimaschutz“, erklärt sie und schimpft auf die Entscheidungen von Wirtschaftsministerin Katherina Reiche, Habecks Nachfolgerin und gewissermaßen auch sein Gegenentwurf. „Wenn Frau Reiche und wenn Friedrich Merz so weitermachen, dann kündigen wir für den Deutschen Bundestag einen Herbst des Klimawiderstandes an“, sagt Dröge kämpferisch. Das klingt wie aus Zeiten, als „Fridays for Future“ Zehntausende auf die Straße brachte.
„Die Probleme der Grünen sind vor allem auch darauf zurückzuführen, dass für die Partei der Spagat zwischen Parteiprogramm/Gründungsgeschichte auf der einen Seite und der Praxis der Regierungsarbeit auf der anderen Seite besonders groß ist“, sagt Ursula Münch, Direktorin Akademie für Politische Bildung in Tutzing, gegenüber unserer Zeitung. Trotzdem: Die Fokussierung auf das Kernthema Klima und Umwelt hält die Politikwissenschaftlerin für richtig. Gerade auch mit Blick auf die neu erwachsene Konkurrenz von der Linkspartei, die bei Fragen der Umverteilung „deutlich klarer und radikaler auftreten können als die Grünen“.
„Das Alleinstellungsmerkmal der Grünen im Parteienwettbewerb ist die Klima- und Umweltpolitik“, sagt Ursula Münch. Die Partei müsse nun daran arbeiten, diese Kompetenz „mit der Frage der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit zu verbinden – und zwar ohne ins kleinteilige Überregulieren zu verfallen“.
Neben der inhaltlichen Sinnsuche stellt sich auch die Personalfrage. Habeck und Baerbock galten eine Zeit lang als Glamour-Paar der deutschen Politik, davon sind Dröge und ihre Kollegin Britta Haßelmann weit entfernt. Bei alternativen Jungwählern ist nun die Linke Heidi Reichinnek ein Star. Auf Instagram hat sie 786000 Follower, weit vor Dröge und Haßelmann mit ihren je rund 50000. In der Gruppe der Jungwähler (unter 25) lag die Linke bei der Bundestagswahl mit 25 Prozent auf Platz 1, die Grünen mit zehn Prozent nur auf Platz 5. Auch die AfD schnitt mit 21 Prozent doppelt so stark ab. Es müssten bei den Grünen also jene Personen nach oben kommen, die ihre Klimapolitik „auch Instagram- und TikTok-gerecht an die Leute jenseits der Stammklientel bringen können“, sagt Politikwissenschaftlerin Münch.
Jenseits von Insta und allen Klausurtagungen fällt die Entscheidung dann an der Wahlurne. Cem Özdemir wird 2026 versuchen, in Baden-Württemberg Winfried Kretschmann als Ministerpräsident zu beerben. Aktuell liegt er weit hinter der CDU. Ein wichtiger Fingerzeig könnte aber auch von der NRW-Kommunalwahl ausgehen. In Aachen, Bonn und Wuppertal treten die Oberbürgermeister zur Wiederwahl an. Überregionalen Rückenwind gibt es derzeit nicht.