Eine Zigarette vor der Abfahrt: Kim Jong-un (li.) qualmt, hinter ihm sein Sonderzug nach Peking. © Rodong Sinmun
München – Vor der Abfahrt erst mal eine Zigarette: Am Dienstag veröffentlichte Nordkoreas Parteizeitung „Rodong Sinmun“ ein Foto von Kim Jong-un, in der Hand eine Kippe, hinter ihm ein grüner Eisenbahnwaggon, neben ihm unter anderem seine Außenministerin. Wer will, kann Anspannung im Gesicht des nordkoreanischen Diktators ausmachen: Kim befindet sich auf seiner ersten Auslandsreise seit gut zwei Jahren, sein Land verlässt er nur äußerst selten. Kim und seine Begleiter waren auf dem Weg nach Peking, wo genau das Foto entstand, ist nicht bekannt. Am Montag jedenfalls hatte Kim Pjöngjang in seinem luxuriösen Privatzug verlassen, am Dienstagabend die chinesische Hauptstadt erreicht.
In Peking wird Kim heute an der Militärparade zum 80. Jahrestag der japanischen Kapitulation im Zweiten Weltkrieg teilnehmen. In China war er zuletzt 2019, das Verhältnis zwischen den beiden Nachbarländern hat sich seitdem deutlich abgekühlt. Was vor allem daran liegt, dass Kim sein Land mit Beginn der Corona-Pandemie für mehrere Jahre von der Außenwelt abgeschottet hat. Dass er nun nach Peking reist, ist aber auch deshalb ungewöhnlich, weil Kim dort nur ein Gast von vielen sein wird, etwa zwei Dutzend Staats- und Regierungschefs werden zu der Militärparade erwartet. Kim bevorzugt normalerweise Zweiergipfel, bei denen er im Mittelpunkt steht. So wie im September 2023, als er in Russlands Fernem Osten auf Wladimir Putin traf. Auch die Aufmerksamkeit, die ihm bei den drei Begegnungen mit US-Präsident Donald Trump 2018 und 2019 geschenkt wurde, genoss Kim seinerzeit sichtlich.
Das Verhältnis zwischen Nordkorea und seinem großen Nachbarn China war schon immer speziell. Im Koreakrieg kämpften „Freiwillige“ aus China an der Seite Nordkoreas, beide Länder sind durch einen Verteidigungspakt miteinander verbunden. Heute ist die Volksrepublik der mit Abstand wichtigste Wirtschaftspartner des Kim-Regimes.
Trotzdem sei der Einfluss der chinesischen Regierung auf das Kim-Regime gering, sagte der Nordkorea-Experte Ramon Pacheco Pardo vom Londoner King‘s College unserer Zeitung. Der nuklearen Aufrüstung Nordkoreas schaue Peking seit Jahren hilflos zu. „China hat jedoch Einfluss darauf, inwieweit die nordkoreanische Wirtschaft weiterhin die Eliten des Landes versorgen kann“, sagt Pacheco Pardo. So kommen beispielsweise ausländische Luxusgüter meist über China nach Nordkorea, obwohl internationale Sanktionen das eigentlich verhindern sollen.
Dem nordkoreanischen Diktator geht es darum, sich als ebenbürtig mit Xi und Wladimir Putin zu präsentieren, glaubt Pacheco Pardo. Putin, in Peking ebenfalls zu Gast, ist inzwischen zu einem der wichtigsten Partner des Kim-Regimes geworden – und umgekehrt. Nordkorea hat bis zu 15000 Soldaten für Putins Krieg gegen die Ukraine nach Russland geschickt und zudem Waffen und Munition. Im Gegenzug erhält Nordkorea Öl, Lebensmittel und Know-how für sein Satellitenprogramm aus Russland, so Experten. Putin sei für Kim derzeit deshalb wichtiger als Xi, sagt Pardo.
Laut einer jüngsten Schätzung der Bank of Korea in Seoul wuchs Nordkoreas Wirtschaft wegen der Nähe zu Russland im vergangenen Jahr so schnell wie seit acht Jahren nicht mehr, vor allem die Rüstungsindustrie boomt. Noch am Tag vor seiner Abreise hatte Kim Staatsmedien zufolge die neueste Raketen-Produktionslinie seines Landes inspiziert.
All das macht Kim Jong-un selbstbewusst – und China nervös. Denn für Peking ist nichts so wichtig wie die Stabilität auf der koreanischen Halbinsel. Und die scheint zunehmend in Gefahr, Kim geht seit Jahren auf Konfrontationskurs zum demokratisch regierten Süden. Annäherungsversuche der neuen Regierung in Seoul ignoriert er bislang, das Regime reagiert auch auf Gesprächsangebote von Trump zurückhaltend. Kim Jong-un, so scheint es zumindest, kann sich in diesen Tagen aussuchen, mit wem er spricht.