Sie treten vor: CSU-Chef Markus Söder, Kanzler Friedrich Merz (CDU) und Arbeitsminister Bärbel Bas im Kanzleramt. © Hirschberger/AFP
München – Friedrich Merz ist außer Atem, als er um 19.03 Uhr das Wort ergreift. Offensichtlich will er seine Gäste im Kanzleramt nicht warten lassen. Denn Merz will zeigen: In der schwarz-roten Koalition läuft alles wieder rund. Man ist sich so einig, dass der Rahmen der zweistündigen Vorbesprechung nicht gesprengt werden muss. Pünktlich und bestens gelaunt treten deswegen Merz, CSU-Chef Markus Söder, SPD-Chefin Bärbel Bas und Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) am Mittwochabend vor die Presse. Fast schon wie eine Mahnung, dass es um das große Ganze geht, prangt über ihnen ein riesiger blauer Bundesadler.
Mehr denn je hätten alle ein Grundverständnis darüber, „dass wir in einer unglaublichen Verantwortung stehen, wie selten eine Bundesregierung zuvor“, erklärt Söder. Deswegen sei die Regierung auch „zum Erfolg für unser Land verdammt“. Dieser Tag sei wichtig, „um nach der Sommerdepression der Koalition eine neue Herbst-Kraft zu finden“.
Es ist der erste Koalitionsausschuss nach der Sommerpause, und auf ihm liegt besonders viel Druck. Denn während des Sommers haben sich die Spitzenpolitiker von Union und SPD mit Vorwürfen überzogen. Den letzten Schlagabtausch lieferten sich die Parteichefs Merz und Bas. Während der CDU-Kanzler das Sozialsystem, „das wir heute so haben“, nicht mehr für tragbar hält, kommentierte die Arbeitsministerin diese düsteren Prognosen mit einem „Bullshit“.
Doch davon wollen die beiden bei dem Koalitionstreffen nichts mehr viel wissen. Es seien gute Gespräche gewesen, man sei auf dem „gleichen Kurs“, erklärt Bas. Und Merz verspricht: „Wir sind uns einig, dass wir den Sozialstaat Bundesrepublik Deutschland erhalten wollen.“ Doch dafür müsse er auch reformiert werden. Und sogar Bas sieht Reformbedarf beim Bürgergeld.
Wie genau solche Reformen aussehen sollen, skizzieren die Parteichefs allerdings nicht. Sie scheinen erst einmal darauf zu setzen, die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. So kündigt Arbeitsministerin Bas an, ihre Prioritäten seien jetzt, Arbeitsplätze zu erhalten und die Wirtschaft anzukurbeln. Angesprochen auf Merz‘ Forderung, Einsparungen beim Bürgergeld von fünf Milliarden Euro vorzunehmen, erklärte sie lediglich: „Es ist abhängig davon, dass die Wirtschaft anzieht.“
Und Merz selbst lädt gleich zu zwei Industrie-Gipfeln. So will er mit den deutschen Autobauern und ihren Zulieferern über Wege aus der Krise beraten. Der Fokus soll dabei nicht nur auf großen Herstellern liegen, sondern auch auf den oftmals mittelständischen Zulieferern. Außerdem will Merz die angeschlagene Stahlindustrie ins Kanzleramt laden. Das Ziel laute: „Dass wir auf Dauer Stahlproduktion in Deutschland erhalten.“
Was die Bürgergeldreform betrifft, sollen noch in diesem Jahr die wichtigsten Eckpunkte beraten werden. Damit es eine neue Grundsicherung nach dem bekannten Credo „Fördern und Fordern“ geben wird, kündigt Merz an.
Es ist nur der Anfang eines Treffens, bei dem es um eine Reihe von streitigen Themen in der Koalition gehen wird. Und Bas gesteht ein, dass zuletzt „Debatten übereinander und nicht miteinander geführt worden sind“. Das hat dem Image der Koalition sichtlich geschadet. Mittlerweile sind nur noch 22 Prozent zufrieden mit der Arbeit von Union und SPD. Ganze 75 Prozent sind laut dem aktuellen ARD-„Deutschlandtrend“ weniger oder gar nicht zufrieden – auch wegen der ständigen Streitereien.
Zumindest Merz und Bas haben deswegen schon vor dem Koalitionsausschuss ihr Fernduell ausdiskutiert. Bei einem leichten Abendessen mit Salat und zwei Bier trafen sich die beiden am Vorabend im Kanzleramt. Jetzt ist Merz mit allen in der SPD per Du, verrät Söder, bevor es in die nächtliche Diskussionsrunde geht, bei der es auch um die Pflege- und Krankenversicherung gehen soll.
Da steht einiges auf dem Spiel, denn laut Finanzminister Klingbeil klafft schon jetzt im Haushalt 2027 eine Lücke von mehr als 30 Milliarden Euro. Handys sind bei den Gesprächen verboten, wohl wegen Sicherheitsbedenken. Der nützliche Nebeneffekt: Keiner kann geheime Informationen durchstechen.