In der Krise: Premierminister François Bayrou (li.) und Präsident Emmanuel Macron. © Nicholson/AFP
München – Frankreich steckt seit Monaten in einer politischen Krise, die sich am Montag noch verschärfen könnte: Weil Premier François Bayrou keine Mehrheit für seinen Sparhaushalt findet, hat er die Vertrauensfrage gestellt – dass Rechte und Linke im Parlament ihn stürzen, gilt als wahrscheinlich. Stefan Seidendorf, Vize-Direktor des Deutsch-Französischen Instituts in Ludwigsburg, erklärt, was das für das Land heißt – und für Emmanuel Macron.
Herr Seidendorf, François Bayrou meint, am Montag stehe das „Schicksal Frankreichs“ auf dem Spiel. Teilen Sie das?
Er hat insofern Recht, als die französischen Staatsfinanzen unter großem Druck stehen. Bayrou will in seinem Haushalt 44 Milliarden Euro einsparen, eine enorm große Zahl. Aber ich glaube, bei ihm spielt auch noch etwas anderes eine Rolle.
Nämlich?
Bayrou ist ein alter Fuchs, der mehrmals für die Präsidentschaft kandidiert hat und glaubt, dass das noch klappen kann. Ich meine, er positioniert sich schon jetzt für die Wahl 2027, um dann sagen zu können: Ich hatte mit meinen Sparplänen Recht und die unverantwortliche Opposition hat mich abgewählt. Es ist ein Ausstieg mit großem Knall, den er bewusst inszeniert.
Präsident Macron müsste dann reagieren. Was wird er tun?
Er könnte, wie in der Vergangenheit auch, einfach einen neuen Premier ernennen, der aber natürlich Mehrheiten bräuchte, um Gesetze durchzubringen. Macron könnte den Sozialdemokraten den Regierungsauftrag geben. Die sind zuletzt aber aggressiv gegen ihn persönlich vorgegangen und Macron hat seinerseits durchblicken lassen, dass er sie nicht für vertrauenwürdig hält. Ich weiß nicht, wie die zusammenfinden sollen.
Dann blieben noch Neuwahlen.
Das hätte aus Sicht des Macron-Lagers den Charme, dass Marine Le Pen nicht mehr antreten darf, weil sie auf fünf Jahre für Wahlen gesperrt ist. Deshalb bin ich auch überrascht, dass sich der Rassemblement National so sehr für Neuwahlen ins Zeug legt. Macron könnte übrigens ein ganz anderes Kalkül verfolgen. Er könnte Le Pens Parteichef Jordan Bardella als Premier installieren und hoffen, dass er bis zu den Präsidentschaftswahlen 2027 verbrannt ist.
Bayrou ist der vierte Premier binnen zwei Jahren, sein Nachfolger stünde vor den gleichen Problemen. Ist Frankreich unregierbar geworden?
Das Land befindet sich in der Endphase der Fünften Republik, in der der Präsident weitreichende Vollmachten hat. Damit verbunden war aber immer, dass der Präsident ein Stück weit über den Parteien steht, und das ist bei Macron einfach nicht der Fall. Entweder müsste er sich zurücknehmen oder eine neue politische Mehrheit finden, was bei den drei starren politischen Blöcken kaum denkbar ist. Klar ist: Das alte System funktioniert nicht mehr richtig.
Das klingt einigermaßen ausweglos.
Jedenfalls ist unklar, wo eine neue Dynamik herkommen soll. Unter Macron hat das politische Zentrum abgewirtschaftet, genau hier beginnt Bayrous Kalkül. Er sagt: 2027 trete ich für das Zentrum an, also für all jene von Mitte links bis Mitte rechts, die noch normal sind. Er hofft auf ein Nadelöhr, durch das er in die zweite Runde der Präsidentschaftswahl schlüpfen kann, um dann gegen einen rechts- oder linksextremen Gegner zu gewinnen – weil‘s nichts Besseres gibt.
Macron schließt einen Rücktritt trotz des Schlamassels aus. Ist das klug?
De Gaulle wäre längst zurückgetreten. Aber Macron glaubt ganz stark daran, dass nach ihm das Chaos losbricht und er deshalb durchhalten muss. Und so unpopulär er auch sein mag: In dieser verfahrenen Lage wird er ein Stück weit zum Garanten dafür, dass Frankreich als Staat verwaltet wird und funktioniert. Aber eben auch nicht mehr.
Das Bündnis „Alles blockieren“ hat für den 10. September zu landesweiten Protesten gegen den Sparkurs aufgerufen. Was braut sich da zusammen?
Es ist noch schwer zu sagen, wer genau dahintersteckt. Vielleicht nimmt ein Regierungssturz ihnen den Wind aus den Segeln. Aber es kann genauso gut sein, dass daraus – wie bei den Gelbwesten – eine Protestbewegung entsteht, die sich bis in den Herbst hineinzieht.