Nach dem Pogrom: Türkische Panzer rollen am 8. September 1955 durch die Straßen Istanbuls. © picture alliance/ap
Rom des Ostens, Byzanz, Konstantinopel: Das heutige Istanbul trug in seiner Geschichte viele Namen, doch eines blieb immer gleich – die Stadt des Apostels Andreas hörte nicht auf, eine Kapitale auch des Christentums zu sein. Die griechischen Christen blieben nach der Eroberung der Metropole durch die Osmanen 1453, und sie harrten weiter aus, als nach dem Ende des griechisch-türkischen Krieges 1922/23 1,5 Millionen Griechen aus der Türkei fliehen mussten (und umgekehrt 500 000 Türken ihre Heimat in Griechenland verloren). Der Untergang ereilte das griechische Istanbul erst heute vor 70 Jahren, als in der Nacht vom 6. auf den 7. September 1955 ein marodierender Mob, aufgestachelt durch die türkische Regierung, die Kirchen der Stadt in Band steckte und Jagd auf Christen, Armenier und Juden machte, ihre Geschäfte plünderte und ihre Viertel anzündete. 15 verloren ihr Leben. Den Überlebenden bot sich am Morgen des 7. September ein Bild der Verwüstung. Die meisten sahen daraufhin zu, wie sie ihre alte Heimat so schnell wie möglich verlassen konnten. Viele zog es nach Griechenland, andere in entferntere Städte Europas.
Das „Pogrom von Istanbul“ kam nicht aus heiterem Himmel: Seit Tagen hatten türkische Politiker und Medien immer feindseligere Töne gegen die Christen angeschlagen und den Griechen vorgeworfen, die Annexion Zyperns zu planen. Die damalige Regierung von Adnan Menderes suchte nach einem Sündenbock, um von ihrem Versagen in der Wirtschaftspolitik abzulenken, und trieb die Islamisierung des Landes voran. Als am 6. September 1955 in Thessaloniki eine Bombe im Geburtshaus Atatürks detonierte, begannen schon in der folgenden Nacht auffälligerweise teils von weither angereiste Marodeure ihr Zerstörungswerk in den christlichen Quartieren Istanbuls – westliche Kreise beschuldigten daher rasch den türkischen Geheimdienst, das Attentat selbst inszeniert zu haben.
Das Pogrom, von dem in der türkischen Geschichtsschreibung nur als die „Ereignisse vom 6. zum 7. September“ die Rede ist, ist im Westen heute in Vergessenheit geraten. Die Vertreibung der Christen vom Bosporus nach fast 2000 Jahren erschien, verglichen mit den anderen Vertreibungstragödien des 20. Jahrhunderts, doch nur wie eine Randnotiz. GEO