Gute Laune: Nigel Farage (li.) posiert beim Parteitag mit einem Delegierten. © Neil Hall/EPA
London/Birmingham – Trotz des Rücktritts von Vizepremierministerin Angela Rayner und der anschließenden Kabinettsumbildung soll es in Großbritannien keine vorgezogene Neuwahl geben. Das stellte der erste Staatssekretär von Premierminister Keir Starmer, Darren Jones, klar. „Die Labour-Partei wird sich nicht spalten, und es wird keine vorgezogene Neuwahl geben“, sagte Jones mit Blick auf entsprechende Prophezeiungen des Rechtspopulisten Nigel Farage. Die Krise war mit der Parteikonferenz von Farages Partei Reform UK zusammengefallen, die am Samstag endete. Die Reform-Partei führt seit Monaten die Umfragen an und treibt die sozialdemokratische Labour-Partei und die Konservativen mit ihrer Anti-Immigration-Linie vor sich her.
Rayner hatte am Freitag ihren Hut genommen. Sie hatte zugegeben, zu wenig Grunderwerbsteuer bezahlt zu haben. Ihr Rücktritt ist ein schwerer Schlag für Premierminister Starmer, der seine Partei von links außen weit in die politische Mitte geführt hat. Seine Stellvertreterin galt als Brückenbauerin zum linken Flügel. Die 45-jährige Politikerin wurde in der Vergangenheit als zukünftige Labour-Vorsitzende gehandelt und war ein bevorzugtes Ziel für politische Angriffe der Konservativen und vonseiten rechter Medien. Für ihren Posten als Parteivize, den sie ebenfalls niederlegte, wird es eine Urwahl durch die noch immer stark links geprägte Parteibasis geben – die Starmer schon jetzt Kopfschmerzen bereiten dürfte.
Der Premier nutzte den Rayner-Skandal für eine umfassende Kabinettsumbildung. Den bisherigen Außenminister David Lammy ernannte der Regierungschef zu Rayners Nachfolger als Vize-Premierminister, während Innenministerin Yvette Cooper an die Spitze des Außenministeriums wechselt. Shabana Mahmood (bisher Justiz) wird künftig das Innenministerium leiten, während Lammy zudem das Justizministerium führen soll.
Starmer dürfte sich von der Rochade im Kabinett Hoffnungen auf einen Neustart machen. Seit Amtsantritt vor 14 Monaten hat er wenig Glück gehabt. Mehrere Reformvorhaben scheiterten spektakulär, die Zahl der Bootsmigranten am Ärmelkanal stieg weiter an. Farage spricht von einer „Invasion“. Die Umfragewerte sackten entsprechend in den Keller. Seit Monaten führen die Rechtspopulisten von Reform UK die Umfragen an. Den gesamten Sommer über hatten sie mit ihrer Agenda die Schlagzeilen bestimmt. Erst kürzlich erklärte Farage, der seine Partei nach wie vor fest im Griff hat, er wolle hunderttausende Menschen aus Großbritannien abschieben. Eine Erklärung, wie genau das gehen soll, blieb er schuldig.
„Wir befinden uns im kulturellen Niedergang“, sagte Farage in seiner Rede auf dem Parteitag in Birmingham, die von großer Show begleitet wurde. „Nigel Farage wird Premierminister“, riefen hunderte Unterstützer, kurz bevor der 61-Jährige, begleitet von Pyrotechnik, erstmals die große Bühne betrat. Farage, der Brexit-Vorkämpfer, wurde gefeiert wie ein Filmstar, und er hatte am Freitag auch noch großes Glück mit dem Drehbuch und der Krise in London.
Er erlebe es auf der Straße, sagte Farage. „Menschen zeigen auf mich und sagen, du bist unsere letzte Chance, dieses Land wieder auf den richtigen Kurs zu bringen.“ Der richtige Kurs aus Reform-Sicht ist: Abschottung und Abschiebung. Zu seinem Lieblingsthema, zu der irregulären Einwanderung mit kleinen Booten am Ärmelkanal, sagte Farage: „Wir werden die Boote innerhalb von zwei Wochen nach einem Wahlsieg stoppen.“