Radikaler Kahlschlag: Milei, hier beim Wahlkampf 2023, hat mit seiner Kettensägen-Politik zigtausende Stellen im Staatsapparat gestrichen. © Natacha Pisarenko/dpa
München – Das hätte auch anders ausgehen können: Es ist Wahlkampf in Buenos Aires, Javier Milei steht auf der Ladefläche eines Pickups, winkt, schüttelt Hände – bis plötzlich Steine fliegen. Einer kracht auf die Motorhaube, andere verfehlen nur knapp seinen Kopf. Es kommt zu Tumulten, der Präsident wird in Sicherheit gebracht. Kurz darauf macht er die Opposition verantwortlich.
Die Szene von Ende August dürfte die schwere Niederlage Mileis bei den Provinzwahlen in Buenos Aires am Sonntag erklären: Seine libertäre Partei La Libertad Avanza landete mit 34 Prozent deutlich hinter der Mitte-links-Partei Fuerza Patria (46 Prozent). Rund 40 Prozent der Argentinier leben in der Provinz, die Wahlen galten als wichtiger Stimmungstest für die Parlamentswahlen im Oktober – dann braucht Milei einen Erfolg, denn bislang hat er keine Mehrheit im Kongress. Doch die Stimmung im Land kippt: ein Korruptionsskandal in der Regierung, steigende Lebenshaltungskosten und hohe Arbeitslosigkeit bringen immer mehr Argentinier gegen ihren Präsidenten auf.
Dabei schien es eigentlich so, als habe der selbst ernannte Anarchokapitalist das krisengeplagte Land endlich stabilisiert: Für dieses Jahr wird ein Wirtschaftswachstum von 5,2 Prozent erwartet. Die Inflation soll auf 36 Prozent sinken – klingt viel, ist aber kein Vergleich zu den 219 Prozent im Vorjahr. Der Peso ist so stark wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Wie ist das möglich?
Seit Amtsantritt hat Milei etliche Behörden geschlossen und zigtausende Staatsangestellte entlassen. Im Wahlkampf wetterte er gegen die politische Kaste, die Oberschicht, ließ Kettensägen auf Bühnen aufheulen und versprach, den Staatsapparat zu zersägen. Er soll sogar Elon Musk dazu inspiriert haben, mit seinem DOGE-Ministerium den US-Staatshaushalt radikal zusammenzustreichen. Auch bei Ex-Finanzminister Christian Lindner (FDP) stieß das auf Sympathie. Er fand, Deutschland solle „mehr Musk und Milei wagen“.
Doch Mileis Erfolge sind mit Vorsicht zu genießen. „Es sind sicherlich Zweifel angebracht an der Nachhaltigkeit des Programms von Milei“, sagt Günther Maihold, Lateinamerika-Experte an der Freien Universität Berlin, unserer Zeitung. „Denn es ist zunächst vor allem ein Schockprogramm zur Inflationskontrolle, zur Stabilisierung des Dollar-Kurses zum argentinischen Peso und zur Reduzierung der Haushaltsdefizite durch massive Kürzungen.“
Heißt: Die Regierung konnte zwar Staatsfinanzen und Inflation stabil halten, indem sie radikal Ausgaben kürzte und den Peso knapp hielt – doch das ging auf Kosten einer massiv gestiegenen Zinsrate auf 75 Prozent. Die Folge: Der Kreditmarkt ist eingebrochen und der Konsum stark zurückgegangen. Der Peso ist inzwischen so stark überbewertet, dass Argentinien zu den weltweit teuersten Ländern gehört. Und seit Mai schrumpft auch die Wirtschaft wieder. Hinzu kommt: Inzwischen steht Argentinien beim Internationalen Währungsfonds mit fast 55 Milliarden Dollar in der Kreide.
„Milei spart dort, wo es den Menschen wehtut: Die Gelder für die Wartung von Straßen sind fast vollständig gestrichen worden – inzwischen gibt es auch immer mehr Unfälle“, erklärt der argentinische Ökonom Andrés Musacchio. „Und bei den Renten gibt es keine Luft mehr nach unten, weil langsam alle weit unter der Armutsgrenze verdienen.“
Die Wut in der Bevölkerung steigt. Auch wegen des Korruptionsskandals gegen Mileis Schwester Karina, seine rechte Hand. Sie soll Schmiergelder kassiert haben. Obendrein wollte Javier Milei mit einem Veto ein Gesetz zu staatlichen Hilfen für Menschen mit Behinderungen stoppen – wurde aber vergangene Woche vom Kongress überstimmt. Vor dem Senatsgebäude jubelten Demonstranten. Für Milei ist das ein herber Rückschlag. Und er kratzt an seinem Image: Denn der Mann, der sich stets als Kämpfer gegen die politische Elite inszenierte, gilt zunehmend als Präsident, der gegen die Schwächsten der Gesellschaft vorgeht.