Nato im Alarm-Modus

von Redaktion

Plötzlich im Fokus: Alicja Wesolowscy und ihr Mann Tomasz, deren Haus in Wyryki beschädigt wurde. © Radwanski/AFP

Unter den Augen des Militärs hält Donald Tusk eine außerordentliche Regierungssitzung ab.

Warschau – Das kleine Örtchen Mniszkow liegt südwestlich von Warschau, irgendwo im Landesinneren, mehr als 250 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt. Der Krieg im Nachbarland schien hier immer noch in recht weiter Ferne. Aber gestern Morgen wird auch in Mniszkow auf einem Feld eine russische Drohne entdeckt. Eine von 19, wie Premierminister Donald Tusk erklärt. Den ersten Alarm habe es in der Nacht gegen 23.30 Uhr gegeben. Bis 6.30 Uhr wurden Verletzungen des Luftraums gemeldet. Im ostpolnischen Dorf Wyryki wird das Dach eines Wohnhauses von Trümmern einer abgeschossenen Drohne getroffen. Verletzt wird zum Glück niemand.

Es ist ein Morgen im Ausnahmezustand. Vor Ort: Der Generalstab ruft die Bevölkerung auf, sich gefundenen Trümmerteilen nicht zu nähern, sondern den Notruf zu wählen und die Polizei über den Fund zu informieren. Aber auch politisch: In Warschau ruft Tusk eine Sondersitzung aller für die Sicherheit des Landes zuständigen Ministerien ein. In Brüssel wird die ohnehin für Mittwoch geplante Sitzung des Nordatlantikrats auf Antrag Polens unter Artikel 4 abgehalten – eine Art Vorstufe der Beistandsklausel. „Dies ist nicht unser Krieg. Dies ist kein Krieg allein für die Ukrainer. Dies ist eine Konfrontation, die Russland der gesamten freien Welt erklärt hat“, stellt Tusk klar.

Ist es eine gezielte russische Provokation – oder ein Versehen? „Wenn es stimmt, dass bis zu 20 russische Drohnen teilweise bis nach Zentralpolen geflogen sind, dann handelt es sich nicht mehr um irgendein lapidares Versehen“, sagt Nato-Experte Ulrich Kühn vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Uni Hamburg unserer Zeitung. „Anscheinend will Wladimir Putin testen, wie eine Reaktion des westlichen Bündnisses aussehen könnte. Ein sehr gefährlicher Test.“ Auch Kanzler Friedrich Merz teilt die Einschätzung von Tusk, „dass die Behauptung der russischen Regierung, dies sei sozusagen ein Zufall oder ein Versehen gewesen, nicht glaubhaft ist“.

Moskau weist dagegen jegliche Absicht von sich. Polen verbreite Mythen, heißt es im Außenministerium. Der Verbündete Belarus, offenbar Ursprung einiger der Drohnen, will seinerseits Opfer verirrter Drohnen geworden sein. Die belarussische Armee erklärt am Mittwochmorgen, sie habe Drohnen „zerstört“, die aufgrund von Stör- oder Abfangmanövern der Ukraine und Russlands von „ihrer Flugbahn abgekommen“ seien. Russland und Belarus planen ab morgen ein Militärmanöver. Schon am Dienstag hatte Polen deshalb angekündigt, ab heute seine Grenze zu Belarus zu schließen.

Egal, welche Version stimmt: Dieser Tag dürfte in die Geschichte des Ukrainekriegs eingehen. Denn er schreckt die Nato-Staaten auf und könnte sie enger zusammenschweißen. Nato-Generalsekretär Mark Rutte verurteilt das „absolut rücksichtslose“ und „absolut gefährliche“ Verhalten Russlands und lobt den Einsatz gegen die Drohnen als „sehr erfolgreich“. „Russland hat Menschenleben in einem Staat gefährdet, der der Nato und der EU angehört“, sagt auch Merz. Er sprach von einer „neuen Qualität von Angriffen, die wir aus Russland sehen“. Sogar Donald Trump, in Nato-Fragen oft zurückhaltend, stellt klar: „Wir stehen vollständig zu Polen und werden Polen helfen, sich zu schützen.“ Die Stationierung zusätzlicher US-Soldaten, zuletzt waren es rund 8000, behält er sich vor.

Am Morgen gibt in Brüssel Ursula von der Leyen ihre ohnehin geplante Grundsatzrede. Sie kündigt eine Allianz mit der Ukraine zur Produktion von Drohnen an. Für das Projekt werde Europa sechs Milliarden Euro bereitstellen. Sie preist den ukrainischen Erfindergeist im Bereich Drohnentechnologie. Bereits heute gingen mehr als zwei Drittel der Verluste an russischer Ausrüstung auf das Konto von Drohnen, die die Ukraine einsetze. Russland hole allerdings durch mit industrieller Massenproduktion schnell auf – unterstützt von im Iran entwickelten Shahed-Drohnen. Auch die in Polen abgeschossenen Objekte sind von diesem Typ.

Das Geld für das Drohnen-Programm soll aus einem Darlehen kommen, das mit Zinserträgen aus eingefrorenen russischen Vermögen zurückgezahlt werden soll.MIK/PS/DPA/AFP

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