Wenn politische Gewalt normal wird

von Redaktion

Beten für Charlie: An diesem provisorischen Gedenkort in Orem erweisen Menschen dem ermordeten Aktivisten Charlie Kirk ihren Respekt. © Melissa Majchrzak/AFP

Washington – Wenige Stunden nach dem gewaltsamen Tod des rechtskonservativen Aktivisten Charlie Kirk am Mittwoch in Utah nannte US-Präsident Donald Trump die Ermordung einen „dunklen Augenblick“ für Amerika. Doch diese dunklen Momente sind keine Novität in den politisch tief gespaltenen Vereinigten Staaten. Denn Gewalt gegenüber dem politischen Gegner, Andersdenkenden und auch Repräsentanten der Wirtschaft ist längst zum festen Bestandteil des Alltags geworden.

Mancher Mörder wird dabei umgehend zu einem Volkshelden hochstilisiert. Wie Luigi Mangione, der 2024 in New York den Brian Thompson, Vorstand einer Krankenversicherung, auf offener Straße hinrichtete und dies als Protest gegen die fragwürdige Erstattungspraxis des US-Versicherungsgiganten UnitedHealthcare verstanden wissen wollte. Bis heute erhält Mangione Fanpost in der Haftanstalt.

Die Hemmschwelle, Mord als legitimes Mittel gegen Andersdenkende anzusehen, scheint in den USA erneut erschreckend tief gesunken zu sein: 48 Prozent im linken Lager halten es für in Ordnung, wenn auf Elon Musk ein Attentat verübt werden würde. 55 Prozent befürworten dies einer Umfrage zufolge, die einst auch Charlie Kirk zitierte, für Trump. Der Zyklus der Gewalt dürfte angesichts dieser Radikalisierung in der Bevölkerung weitergehen. Dafür sprechen auch die beiden Attentatsversuche im Wahlkampf auf den heutigen Präsidenten.

Wie damals nach den Schüssen auf Trump in Pennsylvania, so feierten auch jetzt zahlreiche US-Bürger unverhohlen den Anschlag auf Kirk, obwohl der trotz konservativer Linie um eine zivile Debatte mit Andersdenkenden an zumeist linksliberalen Universitäten bemüht war. Posts wie „Wer auch immer auf Charlie Kirk schoss, vielen Dank!“ sind dabei keine Seltenheit. Andere bezeichneten Kirk als Leiter von „Trumps Hitlerjugend“, der selbst an seinem Schicksal Schuld sei. Immerhin: Selbst den Demokraten nahestehende Arbeitgeber greifen diesmal durch: Dutzende Personen verloren innerhalb weniger Stunden ihren Job, nachdem ihre Lobeshymnen auf den Täter bekannt geworden waren.

Anhänger von Kirk nutzen die Bluttat hingegen zum Aufruf, noch konsequenter die konservative Sache zu verteidigen. Damit könnte eine Radikalisierung verbunden sein. „Die Linke weiß es noch nicht, aber soeben sind eine Million mehr Charlie Kirks geschaffen worden“, konstatierte die Webseite „Republikanische Patrioten“. Im Juni erschoss ein Täter in Minnesota die demokratische Bundesstaats-Abgeordnete Melissa Hortman, ihren Ehemann und den Hund und verletzte ein weiteres Politikerpaar schwer.

Diese Aktion, von der Polizei als „politisch motiviert“ bezeichnet, richtete sich gegen Vertreter einer liberalen Linie beim Thema Abtreibung. Der Täter führte eine Liste mit zahlreichen weiteren Zielpersonen bei der Festnahme mit sich. Auch hat sich die Zahl von Bedrohungen von Bundesrichtern in den letzten drei Jahren nahezu verdoppelt, sodass ein Teil von ihnen mittlerweile Personenschutz hat. Bedroht wird auch die den Demokraten angehörende Richterin in der Stadt Charlotte, die den Mörder der jungen Ukrainerin Irina Zarutska trotz 14 vorausgegangener Festnahmen erneut ohne Auflagen freigesetzt hatte.

Lösungsvorschläge sind derzeit rar – außer der viel gehörten Standardformel, man solle die Rhetorik in beiden politischen Lagern zurückfahren. Doch solche Appelle sind in der Regel schnell verhallt – bis zur nächsten Gewalttat, die durch weitgehend freien Zugang zu Waffen leicht fällt.

Vor zwei Jahren hatte Charlie Kirk, der die Waffengesetze stets verteidigte, noch festgestellt, es gebe durchaus Möglichkeiten, die Zahl der Toten durch Schusswaffen zu reduzieren. Doch völlig eliminieren könne man diese nicht. Es war eine düstere Prognose, die sich dann für ihn in dieser Woche erfüllte.

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